Feindliche Panzer dringen von Osten her in die Schweiz ein, eine fremde Armee stürmt das Zürcher Fernsehstudio und übernimmt das Kommando. Schon während der Ouvertüre wird die Phantasie des Publikums in die beabsichtigte Richtung gelenkt. Die vier Akte der Oper spielen dann vor einem imaginären Hotel Zürich, das von Einschusslöchern versehrt ist, vor und in dem UNO-Gebäude in Genf, im Zürcher Fraumünster vor den weltberühmten Chagall-Fenstern sowie vor dem Kongresszentrum Davos, wo jährlich das Weltwirtschaftsforum stattfindet. Das Gespann der argentinischen Regisseurin Valentina Carrasco und des spanischen Bühnenbildners Carles Berga unternehmen alles, um Verdis Oper La forza des destino als ein Stück zu zeigen, in dem die (in den beiden Weltkriegen verschonte) Schweiz in einen Krieg hineingezogen und besiegt wird.
Diese monothematische Sicht wird konsequent durchgezogen, und die dazugehörigen Bilder mit Kriegshandlungen und Flüchtlingselend (Kostüme: Silvia Aymonino) prägen sich unauslöschlich ein. Zudem zeugt eine solche Aktualisierung angesichts des andauernden russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine von Mut. Der Haken dabei: Das Thema des Krieges spielt in dem Stück nur eine untergeordnete Rolle. Seine Dauerpräsenz in der Zürcher Neuinszenierung kann nur durch Biegen und Brechen erreicht werden.
Das Hauptthema in der Sicht Verdis und seines Librettisten liegt – wie der Titel besagt – in der Frage, ob eine bedingungslose Liebe eines Paares stärker ist als die Verfluchung der liebenden Frau durch ihren Vater. Kann die Liebe zwischen Leonora und Alvaro verhindern, dass Leonoras Bruder Carlo, der den Fluch des Marchese di Calatrava in die Tat umsetzen will, am Schluss seine Schwester tötet? „Nein“, lautet Verdis pessimistische Sicht. Verbunden mit dem Hauptthema ist der Aspekt der Rassendiskriminierung. Alvaro ist der Sohn eines Spaniers und einer Inka-Frau und kommt deshalb für den Marchese als Schwiegersohn nicht in Frage. Dieses Modethema, das für andere Regisseure ein gefundenes Fressen wäre, lässt Carrasco einfach links liegen.

Der Ukrainekrieg funkte bei der Zürcher Premiere noch auf einer anderen Ebene drein: Anna Netrebko kehrt an das Zürcher Opernhaus zurück. Künstlerisch ist die Rechnung des neuen Intendanten Matthias Schulz auf jeden Fall aufgegangen. In ihrer Paraderolle als Leonora überzeugt Netrebko vom ersten bis zum letzten Ton. Ihre eher dunkel timbrierte Stimme beeindruckt mit großem Umfang, reichen dynamischen Abstufungen, absoluter technischer Kontrolle und einer echten Italianità. Dazu gesellt sich die Emotionalität einer emanzipierten, von den Schicksalsschlägen des Lebens gezeichnete Frau. Von ihrer Auftrittsarie „Me, pellegrina ed orfana“, wo sie die Ankunft des Geliebten erwartet, bis zur finalen Arie „Pace, pace, mio Dio!“, wo sie mit dem Leben abrechnet, spannt sie einen großartigen Bogen.
Yusif Eyvazov, ebenfalls ein international gefragter Verdi-Sänger, gibt Don Alvaro mit großer, manchmal etwas scharf klingender Tenorstimme als leidenschaftlichen Sinnsucher. In der zentralen Auseinandersetzung mit Don Carlo im dritten Aufzug, dem eigentlichen Kriegsakt, agiert er indes charakterlich zu nahe an seinem Widersacher. Denn der notorische Hitzkopf der Oper ist eben dieser Carlo, der Bruder Leonoras. George Petean gibt ihm mit seinem mächtigen Bariton und seiner emotionalen Getriebenheit ein geradezu dämonisches Gepräge. Bei den kleineren Rollen beeindrucken Stanislav Vorobyov als standesbewusster Marchese, Michele Pertusi als Guardiano mit väterlicher Ausstrahlung, Roberto Frontali als komödiantisch auftretender Fra Melitone und Annalisa Stroppa als verführerisch zum Krieg aufhetzende Preziosilla.
Richtig in seinem Element ist Gianandrea Noseda, der Generalmusikdirektor des Orchesters der Oper Zürich. Als hervorragendem Kenner des italienischen Opernrepertoires gelingt ihm auch bei Verdis Forza eine stilsichere Wiedergabe der Partitur. Dass er die Figuren auf der Bühne auf den Händen trägt, ist quasi eine Selbstverständlichkeit. Der schicksalhaft ablaufenden Handlung entsprechend entwickelt er auch im Orchester einen magischen Sog. Dieser zieht sich von den Leitmotiven der Ouvertüre durch die ganze Oper und kommt erst in den ersterbenden hohen Streicherklängen der Schlussszene zum Stillstand.
Verlockende Aufgaben nimmt auch der Chor der Oper Zürich wahr. Erstmals unter der Leitung des neuen Chordirektors Klaas-Jan de Groot, brillieren die Damen und Herren, unterstützt vom Kinderchor und einem Ergänzungschor, in ganz unterschiedlichen Massenszenen. Dass sie von der Regie häufig in Militärkleider gesteckt werden, entspricht allerdings nicht den vom Libretto vorgegebenen Situationen.
Wenn im „Fraumünsterbild“ die vom Leben enttäuschte Leonora als Einsiedlerin eingekleidet werden soll, erhält sie vom Guardiano eine kugelsichere Weste und ein Gewehr, währenddessen die Mönche als Soldaten verkleidet sind. Ganz gegen den Strich gebürstet ist das „Davos-Bild“ des dritten Akts, wo eine Soldatengruppe der Schweizer Armee von einer ausländischen Truppe überwältigt wird. Der Wachsoldat auf dem Dach des Kongresszentrums wird ermordet, die Schweizer Fahne durch eine ausländische ersetzt. Die Schweiz ist besiegt.

