Draußen suchen die Menschen an den Glühweinständen vergeblich nach weißen Weihnachten, doch drinnen in der Münchner Staatsoper ist es da bereits frostig kalt. Schon eine Videoprojektion an der Fassade des Opernhauses kündigt die Premiere von Hans Abrahamsens The Snow Queen an.
Langsam, aber unaufhaltsam, umhüllen Schneekristalle das mächtige Eingangsportal, und so setzt die märchenhafte Oper auch musikalisch ein. Wie ein Tinnitus aus der arktischen Eiswüste bohren sich Xylophon und Violinen im Pianissimo gnadenlos ins Gehör. Vier Jahre hat Abrahamsen gebraucht, um seine erste Oper fertigzustellen, die vor rund zwei Monaten in Kopenhagen uraufgeführt wurde und nun in München die englischsprachige Erstaufführung feiert.
Abrahamsens Musik ist filigran und trügerisch schlicht. Häufige Taktwechsel und gegenläufige Rhythmen offenbaren erst beim zweiten Hinhören die Komplexität des Reichs der Schneekönigin. Am Pult steht der Stuttgarter Generalmusikdirektor Cornelius Meister, der sich an einer besonders unauflösbaren Stelle sogar auf einen zweiten Dirigenten stützen muss. Dann braust das Orchester auf, und aus dem flirrenden Gleichklang der Streicher tritt eine diabolische Klangwelt jenseits des Polarkreises hervor.
Es war, wie wenn auf das ewig Weiß des Packeises ein seltener Strahl Sonne fällt, und sich plötzlich, nur für einen kurzen Moment, das Licht kaleidoskopartig bricht. Die eklektische Partitur, die von Bach bis Strawinsky so ziemlich alle Musikepochen zitiert, steht gleichwohl im deutlichen Gegensatz zur Handlung. Scheinbar fast wortwörtlich wird das namensgebende Märchen von Hans Christian Andersen übernommen, dass sich bei Kindern auch heute noch größter Beliebtheit erfreut.
Doch Abrahamsen geht es nicht um Disney-Kitsch, sondern er versucht vielmehr die verschiedenen Schichten der menschlichen Seele musikalisch zu dekonstruieren. Gefundenes Fressen für Andreas Kriegenburg, der diese Inszenierung prompt in eine abgehalfterte Irrenanstalt verfrachtet: vergilbte Fliesen, der Putz bröckelt. Und so bekommt der Zuschauer nicht eine Gerda und einen Kay zu sehen, sondern ein verwirrendes Rochadespiel aus zahllosen Doubles und parallelen Zeitebenen.
Es ist, das muss gesagt werden, anstrengend diesem komplexen Regiespiel zu folgen. Aber auch genauso lohnend. Mit jeder Szene hebt sich ein eisumhüllter Vorhang, um einen noch tieferen Abgrund in der Psychiatrie zu offenbaren. Am Ende, so will es das Libretto, schmilzt Gerda mit ihren Tränen den fatalen Spiegelsplitter im Herzen von Kay, der für ihn alles Gute in der Welt abscheulich wirken lässt. Doch auf dem Seziertisch der Chirurgen liegt ein Double von Gerda.