Das Kölner Fest für Alte Musik steht 2019 auf neuen Beinen: neues Konzept, neue Repertoireerschließungen, ein musikalischer Entdeckungstag nach dem Vorbild der jährlich stattfindenden Romanischen Nacht, neue Spielorte und in Christoph Spering ein neuer künstlerischer Leiter, der mit neuer Geschäftsführung dafür verantwortlich zeichnet. Spering stellte seine Formationen, den Chorus Musicus Köln und Das Neue Orchester, für deren Einbindung in die diesjährige Edition ungewohntermaßen unter fremdes Dirigat, und zwar unter den eines „alten Hasens“ der Szene, Trevor Pinnock. Ihm war es vergönnt, mit seinen aus London mitgebrachten Solisten Händels Klassiker Messiah am 260. Todestag des Komponisten sowohl zum feierlichen Abschluss des Festivals „Music. My Love“ als auch zur letzten Einstimmung auf Ostern aufzuführen.
Vieles verblüfft äußerlich in dieser Kombination des Neu-und Alt-Schemas: in London selbst im März 1743 unter dem Namen A New Sacred Oratorio unter die Ohren des Publikums gekommen, entwickelte sich das Werk mit der neuen Mischung aus alter Passionsmusik, italienischer Oper und Oratorien sowie anklangfindendem englischem Anthem-Habitus samt Chorhervorhebung schließlich zum Ritual, den neu begründeten Erfolg zum Ende der Fastenzeit und nochmals nach dem Osterfest auf die Bühne zu bringen. Eine neue Idee zur dramatischen Vertonung des Alten Testaments, ein karrieretechnischer und musikalischer Wendepunkt, der Halleluja-Chorus Händels be- und geliebte Kennung schlechthin! Konnte Pinnocks Messias ebenfalls verblüffen?
Eine damalige Aufführungskritik beschreibt die Wiedergabe des Stücks mit seiner Wundergeschichte Jesu als „zart, großartig und erhaben“. Diese Empfindung ließ sich bereits in der ersten textlichen Verlautbarung erkennen, die Tenor Oliver Johnston mit einerseits sanft geführten Linien, andereseits mit einer derart verkündenden Präsenz gebührend intonierte, dass man merkte: hier möchte etwas dramatisch erzählt werden. Nämlich das Wunder Teil I, Christi Geburt. Verblüffend und wunderlich jedoch, dass Pinnock, der milde-freundlich lächelte und es sich nicht nehmen ließ, vom Cembalo aus zu dirigieren, die Solisten zu viel bzw. Dauer-Vibrato ermuntert hatte. Störte dies – da noch in bedachterer Form ohne Verlust der Klarheit und des Effekts – bei den Männerstimmen weniger, führte es beginnend mit Claudia Huckles „But who may abide“ zu theatralischer Harmlosigkeit. Obwohl alle dabei ihre Leichtgängigkeit bewahrten und ihr jeweiliges dunkles, rundes Timbre auszurollen vermochten, bleibt fraglich, wie Pinnock als Experte auf solche barockartikulatorischen, vor-historisch-praktischen Abwege kommen konnte. Zumal Das Neue Orchester, das die dramatische Untermalung sukzessive in akkurater Phrasierung und Dynamik immer besser übertrug und den Solisten darin überlegen war, nicht dazu verleitet wurde.
Kein Wunder natürlich, dass die Tempi sehr bedächtig und gemäßigt gewählt wurden sowie die Feststellung, dass der Chorus Musicus Köln seine prominenten Auftritte mit Pracht und flüssiger Staccato-Legato-Gewandtheit meisterte. Stets mit warmem Ansatz versehen, bei dem die Soprane besonders in aller Weichheit glänzten, trat mit „And He shall purify“ zunehmend eine von rhythmisch bestechender Präzision und innerlicher Bewegung erfüllte Klangentfaltung und -Wirkung hervor. Sie mündete in einem erleuchtend-erfreulich betontem „Wonderful“ im „For unto us a Child is born“-Chor, der ansonsten – so gemächlich er war – nicht so mitreißen wollte. Dabei sollte dem Wunder doch anscheinend gedacht werden, was allerdings bei Pinnock nur die Violinen auf den Plan rief, die funkelnden Augen und aufgedrehten Zungenschläge der Hirtengemeinde einzubringen. Zum Abschluss fehlte dem „His yoke is easy“ trotz Pinnocks Tänzeln eine Spur Leichtigkeit, um das Vibrato-Joch wegzuzaubern, dem Kate Royal der Altistin noch einen daraufsetzte, als sie – zwar mit etwas nuancierterer Betonung und sicherer, quirlig-gurgeliger Höhe des hochgelegten Sopranparts – zum schäferlichen Lobpreis ansetzte.