Er ist der Shooting Star unter den jungen Dirigenten. Gerade mal 27 Jahre alt, hat Klaus Mäkelä bisher schon so viel erreicht, dass man nur staunen kann. 2020 wurde er Chefdirigent des Oslo Philharmonic, ein Jahr später Musikdirektor beim Orchestre de Paris. Und 2027 wird er gar den verwaisten Chefdirigentenposten beim Royal Concertgebouw Orchestra antreten. Dazu kamen in den letzten Jahren Engagements bei internationalen Spitzenorchestern; in der vergangenen Saison debütierte er unter anderem beim New York Philharmonic und bei den Berliner Philharmonikern. Nun ist Klaus Mäkelä, zusammen mit dem Oslo Philharmonic, erstmals auch vom Lucerne Festival eingeladen worden.
Die Wahl von Gustav Mahlers Vierter Symphonie für den Einstand ist ambitioniert, birgt jedoch auch Risiken. In Luzern ist die Komposition schon von vielen hochkarätigen Dirigenten aufgeführt worden, gerade letztes Jahr von Simon Rattle mit dem London Symphony Orchestra. Vor dem Hintergrund dieser Ahnengalerie kann sich Mäkelä durchaus behaupten, auch wenn einen seine Interpretation nicht gerade vom Stuhl gerissen hat. Das auffälligste Merkmal in allen Sätzen sind die langsamen Tempi, beziehungsweise die grosse Spanne zwischen den langsamsten und den schnellsten Passagen innerhalb der Sätze.
Die Exposition des ersten Satzes gerät, ganz im Sinne des Komponisten, heiter und verspielt. Einzelne Motive müssten jedoch noch plastischer herausgestellt werden. In der Durchführung, wo der Boden dieser trügerischen Harmonie plötzlich einbricht, dürfte es noch unheimlicher zu- und hergehen, damit der Kontrast zu der klassizistischen Stimmung der Rahmenteile deutlicher zum Vorschein käme. Im zweiten Satz, einem altväterischen Menuett, gelingt die Verfremdung besser. Die vielen schrägen, bizarren und ironischen Elemente hebt Mäkelä besonders bei den Holzbläsern hervor. Auch die um einen Ganzton höher gestimmte Fidel der Konzertmeisterin mit ihren Dorfmusikantenmelodien passt in diesen Rahmen. Beim langsamen Satz nimmt der Dirigent das Tempo so gemächlich, dass der Fluss fast nicht mehr gewährleistet ist. Die beiden instrumentalen Ausbrüche reissen einen dann aus der Lethargie. Und beim finalen Durchbruch, der die jenseitige Sphäre des vierten Satzes vorbereitet, ist man hellwach. Die klangliche Darstellung des himmlischen Schlaraffenlandes in der Spannung zwischen schlichter Liedhaftigkeit und grellen Zwischenspielen gelingt ausgezeichnet. Die junge schwedische Sopranistin Johanna Wallroth interpretiert den Wunderhorn-Text „Wir geniessen die himmlischen Freuden” mit heller Stimme und gespielter Naivität.
Ein befremdendes Gespann bietet der zweite Teil des Abends mit Instrumentalstücken aus Richard Wagners Tristan und Isolde sowie Jean Sibelius’ Siebter Symphonie. Wenn schon diese Kombination, dann wäre es besser gewesen, sie im ersten Teil zu bringen, denn nach Mahlers Vierter mit ihrem paradiesischen Schluss kann eigentlich nichts mehr folgen. Vorspiel zum Ersten Aufzug und Isoldes Liebestod gehen bei Mäkelä nahtlos ineinander über. Auch bei Wagner bevorzugt der Dirigent langsame Tempi, doch bei dieser insgesamt sehr romantisch aufgeladenen Interpretation passt dies durchaus. In beiden Sätzen sind es die grossen Steigerungen und anschliessenden Entspannungen, die, angeführt von einem betörenden Streicherklang, grosse Wirkung erzielen.
Dass der gebürtige Finne Mäkelä in Luzern eine Symphonie seines Landsmannes Sibelius präsentieren wollte, ist ihm nicht zu verargen. Zudem hat er alle sieben Symphonien mit dem Oslo Philharmonic auf Tonträger eingespielt. Indes besitzt Siebelius’ Siebte und Letzte nicht das künstlerische Kaliber von Mahlers Vierter. Und sie ist ein merkwürdiges Werk, das aus einem einzigen Satz besteht und nach 22 Minuten bereits zu Ende ist. Nach einer Krönung des symphonischen Schaffens hört sie sich jedenfalls nicht an. Doch Mäkelä legt sich für die Komposition mit Leib und Seele ins Zeug, und das norwegische Orchester folgt ihm mit grossem Engagement. Auch hier wählt der Dirigent eine ausgesprochen romantische Lesart, was durchaus passt, denn Sibelius verlässt auch in seiner letzten Symphonie von 1924 die Klangwelt des 19. Jahrhunderts nicht wirklich. Schön herausgearbeitet sind die unterschiedlichen Abschnitte des Einsätzers, die durch das kecke Holzbläserthema, das lyrische Bratschenthema oder das choralartige Posaunenthema eingeleitet werden. Insbesondere bei Letzterem stellt sich dreimal jener betörende Sibelius-Sound ein, der einem auch aus den bekannteren seiner Symphonien vertraut ist.