Sakrales zweier dicker Salzburger Freunde stand auf dem Programm der neuerlichen Zusammenarbeit zweier belgischer Kollegen, Vox Luminis und B'Rock Orchestra, nämlich Michael Haydns Schrattenbach-Requiem und Wolfgang Amadeus Mozarts Große Messe, beide in c-Moll. Als Meister der Kirchenmusik im Kurfürstentum waren sich die Komponisten schätzend zugetan, auch nachdem Mozart Salzburg trotz seiner Begeisterung für das Genre wegen seiner Fehde mit dem auf den verstorbenen Schrattenbach folgenden Dienstherrn Colloredo und aufgrund des kaiserlichen Rufes gen Wien verließ. Schließlich hatte Mozart, der sich von Haydn tüchtig inspirieren ließ – er verfolgte die Totenmesse mit unüberhörbaren Vorlagen für eigene dreimal live –, den lange kränkelnden Spezl fast täglich besucht und im Dienst mal aus der Patsche geholfen.
Welch Fatum, dass Mozarts Missa – wie sein Requiem bei früherem Tod und Haydns Zweites – ein Fragment blieb. Wie das Schicksal auch spielte, meinte es dies zusammen mit der Probenarbeit sowie von Lionel Meunier und Konzertmeisterin Cecilia Bernardini gemeinsam verantworteten Leitungsabstimmung nun jedenfalls ziemlich gut mit der Aufführung, die für das Vokalensemble immerhin der Betritt von Neuland war. Denn bisher hatte sich Vox Luminis – meistens maximal zu acht, zwölf, sechzehn oder vierundzwanzig Stimmen antretend – seine zahlreichen Meriten in der (Spät-)Renaissance und im Barock erworben. Gerade die waren, wie bei einer Feldbestellung, im Rahmen der geformten vokalen Corporate Identity nützliche, nötige und bewundernswerte Grundlage, um im neuen Repertoire die Früchte von Wiedererkennung, ausgezeichnetem Stil, ansatzwarmer Kultiviertheit und homogener, effektiver, bodenständiger und höchst feierlicher Qualitätssicherung zu ernten.
Der jetzt auf zweiunddreißig Projektmitglieder inklusive der daraus rekrutierten Solisten (eine feine Anabela Barić, ihre Contraltotiefe auskehrende Ariane Le Fournis, der phrasierungsstärkere, leichte Florian Sievers und der etwas fester hätte sein könnende Lóránt Najbauer) aufgestockte, sich bei Haydn in Frauen- und Männerstimmen gegenüberstehende Chor befand sich nicht nur mit dieser Anzahl ganz dicht an der Uraufführung des Schrattenbach-Requiems 1772, sondern durch benannte Merkmale auch am Mehrebenen-Ausdruck des Stücks. So erreichte Vox Luminis zum einen, Würde, Ergriffenheit, theologisches Drama, Trost und umfassende Organität zu verströmen und mittels interimistisch eingebetteter Solo- und Ripieno-Klangeinheit gemeinsame Anteilnahme, Demut und nicht aufgesetzte Ehrerbietung gegenüber Gott und dem besa(r)gten Fürsterzbischof zu zeigen; und zum anderen diesem damit das Bild von Beliebtheit, Respekt sowie einer gewissen Bescheidenheit, Behutsamkeit und via recht flotten Tempi die Lebendigkeit über den Tod hinaus im aufgestoßenen Himmel angedeihen zu lassen. Das im Gegensatz zur damaligen Premiere kleiner besetzte B'Rock glänzte dazu mit schreitendem, klarem Rhythmus, straffer Gangart, geigenangespornter Verspieltheit, Akzenten, irisierender Artikulation von Clarinen und Tromben, der Majestas der Posaunen und den stetigen Wirkungstreffern einer der besten Paukisten überhaupt, Koen Plaetinck.
Er durfte für die Festlichkeit und mehrsinnige Wucht in Mozarts Großer Messe von 1783 noch radikaler und phrasierender zuschlagen und den instrumentalen Entsprecher geben, wenn doppelchöriges, wie das Orchester antiphon aufgestellte Vox Luminis, vor allem mit chorischem Tenor II und Sopran II, seine aus sich fließende, nicht zu schrille Pracht entfaltete, die beispielsweise von den dynamischen subito-piano-Effekten im strengen „Qui tollis“ wunderbar kontrastiert wurden. Es mag vielleicht ein bisschen dekadent erscheinen, wenn ich mir dann in den herrlich rapiden Messsatzfugen nur noch ein wenig mehr Betonung wünschte, die die von sonst seidigem Anruf oder bürdevollerem Ordinariumsgedenken befreite, leichtgängige, tänzerische Freude zum jubilierenden Funkeln der Violinen, Violen, Bässe und Holzbläser stärker herausgestellt hätte. Mit den Sopranen Robin Johannsen und Sophie Junker fügten sich die beiden extrachorischen Solistinnen ebenso hervorragend und kontrolliert ein. Bei Johannsen mit mehr Vibrato, aber ihrer Paradedisziplin von enger Ornamentik und weiter Registersicherheit in jugendlichem Grundtimbre für das „Christe“ und unschuldig beweinende Dankbarkeit aussendende „Et incarnatus est“; bei Junker mit leuchtender, runder, offener, phrasierungsvariantenreicher, weicher Gestaltungs- und Artikulationsklasse. Beide bezirzten als Engel im „Domine Deus“ bezaubernd, harmonieschwellig und doch dezent den himmlischen Wächter; erhört lagen sie auf Vox Luminis' gelungenem, vielversprechendem Pfad.