Ob durch die Qualität der Aufführung, die Thematik oder rein numerische Werkzusammenstellung: der Begriff barocker Dreieinigkeit bietet für alle drei Varianten – getrennt oder selbst dreifach vereint – Raum. Zwar beschränkte sich Lionel Meunier für seine Rückkehr zur Nederlandse Bachvereniging mit einem Großteil des Programms anlässlich deren traditioneller Allerzielen-Tour mit dreizehn Stücken von fünf Komponisten in einem Punkt nicht auf diese heilige Zahl. Doch stellte er – mit immerhin auch göttlicher Zwölf im ersten Teil – innerhalb dessen Dreierkombinationen und einen ökumenischen Musik-Gottesdienst zu königlichem Abschied zusammen, der sich aus dem Dreiklang anglikanischer, protestantischer und katholischer Herkunft in theologischer Übereinkunft aus Trauer, Andacht und Hoffnung speiste. Traf die Einheit mit der praktischen Ausführung zu?

<i>Allerzielen</i> mit Lionel Meunier und der Nederlandse Bachvereniging in der in Grote Kerk Naarden &copy; Marieke Wijntjes
Allerzielen mit Lionel Meunier und der Nederlandse Bachvereniging in der in Grote Kerk Naarden
© Marieke Wijntjes

Uneingeschränkt ja. Denn in einem für Meunier typisch choreographierten sowie höchst klangorganischen und verlässlich textdeutlichen Zeremoniell gelang es ihm, den Zuschauer im rationalen Zweckbau des Groninger Oosterpoorts zum demütigen und seelengestärkten Gemeindemitglied zu verwandeln, dem die gnädigen und berührenden Hände der Anteilnahme gereicht werden, und dabei in stets verblüffend selbstverständlich wirkender Natürlichkeit wie kunstfertigem Zutrauen die blendende Qualität der NBV in unterschiedlicher Zusammenstellung zu präsentieren. Davon sollte – merklich überzeugend vorgegeben durch meditative Generalpausen – die respektable Stille des Publikums zwischen den Stücken zeugen sowie die kurze Schweigeminute vor den ausgiebigen Ovationen zum Schlussapplaus.

Die Prozession begann hinter der Bühne und damit gedanklich vor der Kirche des Requiems, indem der Chor Henry Purcells intim-gedimmtes Hear my prayer anstimmte, nach dem erst Cornetti, Sackbuts und trommelnder Organist zum berühmten Funeral March for Queen Mary, folgend zu einer First Dirge Anthem, bestehend aus Thomas Morleys I am the resurrection and the life und I know that my redeemer liveth, die Sängerinnen und Sänger mit vokal inkludiertem Meunier paarweise andächtig einschritten, bis sie sich beim weich fließenden und stilistisch exzellenten We brought nothing into this world zu einem den symbolischen Sarg umgebenden Kreis versammelten. Eine Second Dirge Anthem mit Morleys kräftigendem, herzlichem Man that is born of a woman sowie Purcells Thou knowest, Lord und populärer Bläsercanzon Z. 860 in bewegt-bewegender Manier rein intoniert, rückte diese menschliche Rotunde zur Third Dirge Anthem mit Morleys einerseits getragenerem, andererseits mit leichtem Atem zuversichtlichem I heard a voice from heaven noch enger zusammen.

Unter den Präludien Daniel Seegers Truhenorgel für drei Motetten aus dem Altbachischen Archiv, Meuniers Lieblinge, die sich bisher noch nicht in vorherigen NBV-Programmen befunden hatten, öffnete sich die Vokalformation dann zum Halbrund. In Johann Michael Bachs Ich weiß, dass mein Erlöser lebt war an dessen Seitenköpfen der Cantus mit Amelia Berridge und Valérie Stammet postiert, der dem farb- und herzenstiefen ATBB-Gesang in unverfälschter Klarheit das himmelhoffende, beeindruckend sphärische Leuchten verpasste. In besetzungsvariabler Durchmischung von SSATB-Favorit-, Ripieno- und Tutti-Kapellchor legte die NBV in den sechs Strophen Johann Christoph Bachs Der Mensch, vom Weibe geboren einen vorzüglichen Ausdruck an den Tag, der von Betonung und Phrasierung beflügelt wurde. Er sollte zielsicher unter die Haut gehen wie die finale Choralciaccona aus Johann Christophs weiterer, offiziell mit Dialogus betitelter und Streichern gefüllter Motette Herr, wende dich und sei mir gnädig, die hier dezent dirigierender Meunier mit der anschaulichen Gruppe der reuigen Sünder (Michaela Riener, Adriaan De Koster, Carlos Negrín López) gegenüber der göttlichen, durch Bass Vincent Berger geschmeidigen, zugewandten und behütenden Stimme entsprechend theatralischer gestalten konnte.

Energischer in seiner Leitung agierte Meunier letztlich im zweiten Part mit Johann Joseph Fux‘ Kaiserrequiem zur Beisetzung der Witwe Leopolds I. 1720 in Wien, das in warmer, milder, intensiver und dynamischer Entwicklung im beibehaltend nicht zu exaltierten, aber maximal würdigen Klangkorsett nicht nur innerhalb des NBV-Ensembles bestens abgestimmt war, sondern im feinen „Communio“ diesen Erinnerungskreislauf in barocker Dreieinigkeit eindrücklichst schloss.

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