Für Wagner-Puristen wäre das nichts: Parsifal vom Konzertpodium. Hatte doch Richard Wagner sein Bühnenweihfestspiel eigens für das Bayreuther Festspielhaus und dessen einzigartige Akustik komponiert, wo der Klang des Orchesters vom gedeckelten Orchestergraben reflektiert über die Bühne indirekt ins Publikum strömt. Würde diese Musik in einem Konzertsaal mit direkter Akustik also authentisch klingen? Die Idealvorstellung für Parsifal ist ein Klang, der „Deutlichkeit und Verschmelzung mit einander paart”, so Pierre Boulez, der die Oper mehrfach in Bayreuth dirigiert hat.

Pablo Heras-Casado
© Andrea Kremper

Pablo Heras-Casado hat bei den Pfingstfestspielen auf dem Podium des Festspielhauses in Baden-Baden mit dem SWR Symphonieorchester die Probe aufs Exempel gemacht. Deutlichkeit, d.h. die Präsenz von Einzelstimmen und Verschmelzung, also ein Mischklang wie hinter einem dünnen Schleier – diese Synthese war Dirigent und Orchester in dieser Aufführung hervorragend gelungen. 

Das Vorspiel zum ersten Aufzug hob an in beispielhafter Schönheit: fein gemischte Farben im einleitenden Abendmahlsmotiv aus Klarinetten, Englischhorn, Fagott und den Streichern. Überhaupt wurden die Leitmotive nicht wie Schilder ausgestellt (wie im Ring), sondern symphonisch in den Gesamtfluss des Klanges eingebettet. Da war im Orchester höchste Konzentration und Disziplin gefragt und das Ergebnis war exzellent. Heras-Casado zelebrierte dabei durchaus die gebotene Feierlichkeit, die aber nie zu falschem Pathos geriet. Auch nicht am Schluss des dritten Akts, wo er den Erlösungsjubel nach einem kurzen Forte-Aufschwung der Harfen in wunderbar verinnerlichtem Piano ausklingen ließ.

Überhaupt schienen Dynamik und Tempo absolut angemessen. Oftmals wird ein Parsifal-Dirigat nach der benötigten Dauer beurteilt. Beim dritten Akt schwanken die Angaben zwischen 65 und fast 90 Minuten. Heras-Casado lag mit etwa 75 im guten Mittelfeld. Der Fluss war nicht zäh, aber auch nicht eilig, sondern gefühlt genau richtig. Denn diese Musik lebt weniger von dynamischer Spannung als vom subtilen Wechsel der Klangfarben und der Kunst der feinen Abschattierung durch Dirigent und Orchester.

Andreas Schager und Kwangchul Youn
© Andrea Kremper

Meist glänzte der Klang bernsteinfarben, aber beim Karfreitagszauber hellte er sich auf, wurde lieblich in den Holzbläsern, weich in den Hörnern und zart in den Streichern. Wendete sich Parsifal zu Kundry, dunkelte sich der Klang wieder chromatisch ein; ein Wechsel, der höchst subtil und filigran gelang.

Auch die Sänger ordneten sich dem würdevoll gemessenen Stil der Musik unter. Kwangchul Youn mit abgeklärtem Bass und bewährter Gurnemanz seit Jahren wurde auch hier seiner Rolle mit beredtem Parlando in deutlicher Diktion und stimmlich fundiert bestens gerecht. Andreas Schager gestaltete einen Parsifal mit variablem Ausdruck, doch fehlte der Stimme vor allem am Schluss („Enthüllet den Gral! Öffnet den Schrein!”) die Aura des Erlösers. Angenehm zurückhaltend, doch nicht ausdruckslos war der Amfortas von Ian Paterson. Wenn auch mit relativ kleiner Stimme, war er überzeugend der Schmerzensmann, ohne ins Weinerliche zu verfallen. Mit den geforderten Stöhnlauten und nur vier Silben Gesang war Sabine Staudinger eine präsente Kundry. Machtvoll forderten die Choristen des Bayerischen Rundfunks als Gralsritter bei Amfortas die Enthüllung des Grals ein, innbrünstig feierlich sangen sie die Schlussformel „Erlösung dem Erlöser”. Mag man auch zum Inhalt dieser Oper zwiespältig stehen, der Ergriffenheit durch die Musik konnte sich wohl kaum jemand entziehen.

Alexandre Kantorow und Pablo Heras-Casado mit dem SWR Symphonieorchester
© Andrea Kremper

Durchaus nicht als Störfaktor erwies sich der mittlere Programmteil, das Zweite Klavierkonzert von Franz Liszt; und zwar weniger aus Gründen der familiären Verbindungen beider Komponisten, sondern vielmehr als musikalischer Kontrast. Denn hier wechselte Heras-Casado vollkommen den Stil. Hier spielte das SWR Symphonieorchester in höchstem Maße transparent und gestaltete den dramatischen Wechsel der Stimmungen plastisch und fesselnd. Alexandre Kantorow, Tschaikowsky-Preisträger von 2019, war der bejubelte Interpret. Mit elegantem Anschlag zeigte er sich als intensiver Feinzeichner und mit stupender Technik als blendender Virtuose. Die Zugabe, Liszts Phantasie über ein Petrarca-Sonett mit dem Titel Pace non trovo (Frieden kann ich nicht finden), schlug beziehungsreich die Brücke zu Amfortas, dem um Erlösung ringenden König des Grals.

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