Er verfehlt seine Wirkung nicht: der Dom von Florenz. Seine Größe, seine architektonische Erscheinung mit seiner markanten Brunelleschi-Kuppel, seine Farben; all das prägt das Bild der Stadt sowie der Toskana und zieht den Menschen an. Seit jeher sein Auftrag. Nicht der Medicis, die Florenz lange beherrschen sollten und ansonsten die Gebäude dieses kulturell überreichen Zentrums beisteuerten, aber ihre eigenen Kapellen hatten, sondern speziell der wohlhabenden Wollhändlergilde gegen Ende des 13. Jahrhunderts. Ein politisches Zeichen, dennoch ganz im Sinne der Republikoberen, später der berühmten Herzöge.

Hervé Niquet mit Le Concert Spirituel © Nikolai Wolff | fotoetage
Hervé Niquet mit Le Concert Spirituel
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Die Medicis waren es allerdings, die die Missa sopra Ecco si beato giorno zur großen städtischen Sankt-Johannis-Feier in der Kathedrale zum Ausgang der 1560er Jahre als Ausdruck ihrer Macht bei ihrem Hofkapellmeister Francesco Corteccia bestellten, der seinerseits dafür mehrheitlich auf die Kunst seines örtlichen Kollegen, Alessandro Striggio d.Ä., vertraute. Dessen lange verschollene, in ihrer Opulenz entgegen bisheriger, ebenfalls ihren Effekt nicht verfehlender Renaissance-Musik absolut besondere und mit tripolitischer Botschaft des Erhalts versehene Messe für 40 und 60 Stimmen bildet das Gerüst einer fiktiven frühbarocken, also den konservierenden Imperativ beherzigenden, darauf aufbauenden wie monumentalen Stil weiterentwickelnden Mess-Rekonstruktion Hervé Niquets und seines Concert Spirituel, an dessen namensgebende Institution in Paris zum 300. Geburtstag erinnert wird.

Sie stellten sie in Form Dominique Visses Transkription der Striggio-Messe, der Motette Ecce beatam lucem des Komponisten, mit Stücken Corteccias selbst, Domenico Massenzios, des auch groß auffahrenden Römers Orazio Benevoli sowie anhand instrumental arrangierter Beispiele dessen Petersdom-Vorgängers und diesjährigen Jubilargiganten Pierluigi da Palestrina nun auch beim Musikfest Bremen vor. Im noch älteren Bremer Pendant des erst romanischen und dann gotisch veränderten St.-Petri-Doms als Mittelpunkt der ihn umgebenden städtischen, ebenfalls beeindruckenden Weser-Renaissance freilich späteren architektonischen Datums. Und damit in einer Akustik, die sowohl werktauglich als auch aufführungsfreundlich war. Anlass zudem, Niquet und Ensemble den diesjährigen Musikpreis aufgrund ihrer seit 1987 laufenden Arbeit „zur Förderung der historisch-informierten Musik sowie seit 2005 bestehenden Zusammenarbeit mit dem Festival“ zuzuerkennen.

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Hervé Niquet mit Le Concert Spirituel
© Nikolai Wolff | fotoetage

Mit dem mehrstimmig angelegten, über einen Bläserorgelpunkt geführten gregorianischen Choral Beata viscera Mariae schritten sie ein, um in einem doppelten, teils dreifachen Kreis mit sitzendem Innenring um den Dirigenten Aufstellung zu nehmen und die immense Herausforderung der Striggio-Klangkoordination zu fünf Chören à 8 samt Truhenorgel, Regal, Spinettino, Cembalo, Streicherbass, Sackbut- und Dulzianconsort mit jeweiligen Diskanten aus Cornetto und Soprandulzian so geschickt und eindrucksvoll zu bewältigen. Aus stets toskanawarmem, weichem, dynamisch effekt- und textlich affektreichem, verständlichem Vokalfluss des Concert Spirituel bot sich daher eine homogene Polyphoniepracht, die den Raum schuf mit und einwickelte für meditative Andacht, feierliche Güte und im lebendigen Glauben erhebende Stärke. Sie kulminierte zur festlichen Krönung jenes gloriosen, natürlich übernatürlich scheinenden Renaissanceerbes in Striggios Ecce beatam lucem, nach dessen kurzem Verklingen im Dom Niquet seinem Ensemble ein preisgerechtes wie in seinen Aufführungen gleichwohl typisch exponiert lautes, die Komponisten mitbedachtes „Bravi“ zusprach.

Das hatten sich in der Tat explizit auch die Bläserconsorts des Concert Spirituel verdient, die Striggios Messordinarium unterteilenden Stücke Palestrinas, Peccavimus, das rhythmisch galliardhafte Beata est Virgo Maria und das versierte Pater noster, oder die Zwischenspiele in Benevolis Magnificat in Intonation, Farbigkeit und Phrasierung ausgezeichnet vortrugen. Ermöglichten sie bereits einen weiteren willkommenen Kontrast, taten das vokaltextural auch Corteccias kurzen a-cappella-Gradualien sowie Massenzios aufgepeppte Antiphonen einer lieblich-sanften Ave Regina caelorum und einer durch die Frauenstimmen samtig-leuchtenden Filiae Ierusalem. Niquet und Ensemble hinterließen ihrerseits folglich abermalige Wirkung an der Weser.

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