Zur Einstimmung und Einordnung eine kleine Daten-Genese: Seitdem Pianist und Dirigent Sir András Schiff 2018 die Position des Associate Artist beim Orchestra of the Age of Enlightenment angenommen hat, realisierten die Musiker – neben einigen Symphonien und weiteren Werken Haydns, Beethovens, Mendelssohns und Schumanns – gemeinsam die Klavierkonzerte von Beethoven, Brahms und Mendelssohn. Beim letzten Aufeinandertreffen auch nochmals Mendelssohn und Robert Schumanns a-Moll-Konzert im Gepäck, das Schiff und das OAE vor daraus resultierender Einladung und Ernennung vor fast zehn Jahren angegangen waren, hatten sie sich 2012 erstmals im Konzert mit Haydn und Mozart zusammengefunden.

Sir András Schiff © Nadja Sjöström
Sir András Schiff
© Nadja Sjöström

Mehr und ausschließlich Haydn, darunter mit dem D-Dur-Beispiel mit berüchtigtem Rondo all’Ungarese eines seiner drei gesicherten Klavierkonzerte, gab es jetzt bei diesmaliger Herbsttour der Londoner Künstlergemeinschaft, die auch Halt im Konzerthaus Dortmund machte. Und fast wie bei letztem Haydn Schiffs und des OAE, den ich 2022 in Essen rezensieren konnte, blieb im musikalischen Sinne kaum redensartliches Auge trocken, sind Komponist und Pianisten-Dirigent quasi Brüder im Geiste.

Da lief Schiff, begonnen mit der kühneren, von ihm und dem Ensemble aber noch nicht zu stürmisch-drängend empfundenen Symphonie Nr. 39, selbst immer wieder ein Lächeln über sein Gesicht, wenn Haydns Esprit seine stete Aufwartung machte und das Orchester dieses mit der Attitüde des reifen Understatements in streicherantiphongestützten Ping-Pong-Effekten mit hoher Spielfreude und Präzision ausfüllte. Schiffs Begeisterung führte sogar dazu, dass er sich zum Finale des Kopfsatzes hinreißen ließ, in die Hände zu klatschen.

Das besorgte natürlich normgerecht auch der erste Applaus des Publikums, nachdem die weiteren Sätze von neckischer Eleganz und schließlich flinken Streichern, mit bedachten Details der zweiten Geigen und Bratschen, über markanten Hörnern, alles in vorzüglicher Balance- und Dynamiksteuerung, unterfüttert waren. In sichere und animierende, ebenfalls ungarisch-britische Hände legte Schiff dann die Leitung der Symphonie Nr. 105 mit der Übergabe an OAE-Konzertmeisterin und Solistin Kati Debretzeni, um den generellen Charakter und die Führung der Violine in der Sinfonia Concertante zu unterstreichen. Debretzenis kommunikative Art, sich in virtuosen Soli dem Publikum zuzuwenden, demonstrierte dabei das köstliche Aus-der-Reihe-tanzen, dem sich Jane Gowers Fagott mit streitig machender Prominenz, Luise Buchbergers Cello mit leidenschaftlichem Nachziehen und Daniel Bates‘ glasklare Oboe entgegenzustellen versuchten.

Darin bestachen erneut die Abstimmung unter den Solisten und zwischen ihnen und Orchester sowie die ergiebige, lebendige, in transparentem, idyllischem, im Schlusssatz experimentell-wildem Charme gehaltene Phrasierung. Bedauerlich nur, dass Buchbergers exponierten drei letzten Solotöne in höchster Lage daneben gingen. Mit seiner unverwechselbaren Melange aus bestimmter Lässigkeit und zwinkernder Süffisanz traf Schiff, jüngst mit dem Musik-„Nobelpreis“ des japanischen Praemium Imperiale ausgezeichnet, Haydns mentalistischen Nukleus im D-Dur-Klavierkonzert, für das sich der typisch weiter dirigierende Pianist an den Kern-Hammerflügel einer 1795er Walter-Kopie setzte. Und dort – wieder in exzellenter Balance – mittels differenzierter Artikulation und Phrasierung Selbstverständliches überraschend und Überraschendes selbstverständlich, die Solo-Kadenzen kindlich-brabbelnd, florierend und modern, das Un poco Adagio mit schwebender Tiefsinnigkeit, das Rondo schelmisch-idiomatisch samt extrarobusten Bässen wirken ließ.

Dachte man, OAE und Schiff hätten das Konzerthaus Dortmund schon mit durchgeplanter Energie, Akzent- und Kontrastlust in der Symphonie Nr. 102 geflutet, in der Betulichkeit im Adagio, elefantschrittiger Ulk aus Großspurigkeit und gemütlicher Freude im Menuett und feurig-kreiseliger Wirbel im Finalsatz vorherrschten, legten sie in der Zugabe mit Haydns Sinfonia zur Oper L’isola disabitata noch einen drauf. Schlug sie in der Streichersatzart mit Holz und Hörnern zugleich einen Bogen zum Beginn, präsentierte sich das Orchestra of the Age und Enlightenment nämlich darin gesteigert befreiend und enthusiastisch-theatralisch tempozerklüftet mit besonders raschem Vivace, der wie ein neuerlicher Geistesblitz daherkam.

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