Momentan vom ensembleeigenen Portfolio-Elixir der bisher noch versteckteren Beispiele der Zauberoper im Rokoko oder in der Klassik benetzt, gedachte die von Rüdiger Lotter als Dirigent und dessen Ehefrau Isabella Bison als Konzertmeisterin angeführte Hofkapelle München bei den nach kultureller Aneignung und Ideentransfers fragenden 49. Tagen Alter Musik in Herne natürlich auch Antonio Salieri.
Dem Komponisten, der in diesem Jahr 200. Todestag hat und als ehemaliger Leiter der italienischen Oper, später als Kapellmeister der gesamten kaiserlichen Hofkapelle in Wien sowie bedeutender Vermächtnisgeber weiterhin im musikbetrieblichen Schatten Wolfgang Amadeus Mozarts steht. Auch wenn beim Hineinlugen in die 2005 durch Christophe Rousset neuzeitlich erstmals aufgeführte Grotta di Trofonio erneut deutlich wird, wo sich Mozart durch Salieri anerkennend Inspiration holte; in diesem Falle bei einigen instrumentalen wie vokalen Klangbildern und konkret der Behandlung der Bläser – da dürfte einem manches im Don Giovanni oder in der Così vertraut vorkommen.
Salieris und Librettist Giovanni Battista Castis 1785 premiertes Werk nimmt sich in satirischer Unterhaltung damalige, aber in veränderten Konstellationen und teilaspektlichen Ausprägungen durchaus durchgängig recht aktuelle, bis nach Paris reichende Probleme der Wiener Gesellschaft vor: philosophischer Dünkel und ein Hang zu Esoterik, die in vermeintlichem Dunstkreis freimaureraffiner höchster Zirkel dem – bei diesem Stück also doppelt – Motto getreu aus antikem Griechenland transferiert sind und betrügerischen Machenschaften spiritueller Séancen-Gurus mit Geldwechseln sowie fake-ägyptischen Wunder- und Verkaufsartikeln die Geschäftsgrundlage bereiten. Apropos Geschäftsgrundlage, scheint diese in Form von Eheverträgen zwischen den Platonikern Ofelia und Artemidoro sowie den flippigeren Dori und Plistene mit Aristone, dem Vater der beiden Zwillingsschwestern, in der Handlung wegzufallen, nachdem erst die Herren, dann die Damen besagte Grotta di Trofonio besuchen.
Erfahren sie dort Wesensveränderungen in ihr paariges Gegenteil, so dass die jeweiligen Zuneigungen sofort verfliegen wie die schlechte Nachahmung hochwertiger chemischer Produkte, wandelte sich auch das Orchester am Abend von zunächst noch etwas unelastischer und tempounbestimmterer, dynamisch schon auf den Gesang abgedimmte, allerdings mit sehr ansprechend knackiger Pauke versehener Introduzione mit dem Auftritt der Vokalisten, dem rezitativischen Fluss Olga Watts‘ Hammerklaviers sowie der von Festivaldramaturgin Sabine Radermacher aufgepeppten Übersetzung der Texte nett verhext zu gesteigerter Spritzigkeit für die halbszenisch dargebrachte Turbulenz.
Zwar gab es kleinere Verstimmungen im Holz und bei undeutlicheren Einsätzen beziehungsweise Übergängen, doch erfreuten vielmehr die gesamtbetrachtend ordentlich kontrastgelenkten Stimuli der ulkig-eingängigen, lebensalltäglichen wie zeitgeistig kultischen Anspielungen (mit sehr souveränem Männerchor der Geister) und die herausgebrachten Effekte, so wie die akkurate Nießattacke Ofelias oder die Lautmalerei beim Insektensummen der Streicher.

Fehlte Lotter der Taktstock, hielt diesen stattdessen Jonas Müller als lässig-verkappter, freilich von den Handelnden als eigenbrötlerischer Philosoph wahrgenommener Höhlen-Maestro Trofonio in der Hand, der seine eben wie mit einem genügenden Zauberhieb vermittelte Kraft durch presslosen, warm-organischen, nützlich eleganten Bariton für sich sprechen und wirken ließ. Baritonal nicht nach stand ihm da Nikolay Borchev, der als wohlsorgender, weiser Papi Aristone gütig, gelenk und sonor stimmlich, rhythmisch und darstellerisch gemeinsam mit machohaft-treueunterlaufende Sonderrechte reservierendem, köstlichem Plistene-Tenor Jorge Navarro Colorado den (Parlando-)Schwung und das farbliche Temperament dieses charmanten Werks gepachtet hatte. Auch Jan Petrykas zärtlich-lieblicher Tenor als Verkörperung des authentischen Artemidoro oder dessen aufblühende, flinke Art als verwandelte Person wusste seine Stärken durchweg gekonnt und reizvoll auszuspielen.
Ideales, jeweils selbst wie eine natürliche Infusion einschlagendes und Magie schon mitbringendes Idiom bewies Elisabeth Freyhoff als somit eigentlich in jeder Mentalität die redensartlichen Hosen anhabende, ziemlich reife und nun mal in Männerwahl apodiktisch festgelegte Dori, deren verständlich sprudelnder Sopran genauso mit typisch feinen und glühenden hohen Strahlen aufwartete wie mit anständig elektrisierender Gravità. Ebenfalls streng bestimmte, die veränderten Züge des Gatten in spe als „verrückt“ abstempelnde, tugendbewusste und „ausgewechselt“ fidel-laszivere, spitzzungige Ofelia fand in dem hellrosigen, lagenversierten, soubrettenschlanken und tempogewandten Mezzo Maria Hegeles eine gleichsam sehr gelungene, einnehmende Besetzung. Bei aller originären wesensmäßigen Gegensätzlichkeit passten beide Frauenstimmen – wie das komplette Ensemble – ganz zwillingskonform wunderbar zueinander; zwei, mit Jonas Müller drei, junge große Talente, die man unbedingt (weiter) auf dem Schirm haben muss.
Von künftiger Arbeit als Redaktions- und künstlerisch leitender Festivalverantwortlicher bei WDR3 verabschiedete sich dagegen Dr. Richard Lorber mit diesem Ausgabeschlusspunkt tatsächlich in den Ruhestand, der sicher so unterhaltsam gestaltet sein möge wie Salieris in Herne aufs Parkett gebrachte, gerne noch öfter beachtete Zauberoper.

