Das Musizieren im Konzentrationslager Theresienstadt/Terezín ist etwas, das uns bis heute fasziniert, sprachlos macht, inspiriert. Während man sich die schiere Menge an Konzerten verschiedenster Stilrichtungen unter diesen Bedingungen schwer vorstellen kann, versucht das Konzert-Drama „Defiant Requiem - Verdi at Terezín” (dt. trotzendes Requiem), unser Verständnis für eine einzigartige und außergewöhnliche musikalische Mission zu wecken. Von September 1943 an gab der visionäre Dirigent Rafael (Rafi) Schächter 16 Vorstellungen von Verdis dramatischer und anspruchsvoller Vertonung der katholischen Totenmesse und studierte mit hunderten jüdischen Gefangenen (die dann auswendig sangen) die Chorstimmen aus einer einzigen Partitur ein. Diese Geschichte wird teils durch die Erzählung des Dirigenten und künstlerischen Direktors des Programmes, Murry Sidler, wiedergegeben, während eine große Videoleinwand stützende Bilder und Auszüge aus Texten von früheren Terezín-Häftlingen bietet, von denen einige von zwei Schauspielern live auf der Bühne gegeben werden (Erwin Steinhauer als Schächter selbst und Katharina Stemberger als The Lecturer). Vorstellungskraft ist der Schlüssel des Ganzen, für das Publikum dieses sorgfältig geformten Konzert-Dramas wie für die vielen Juden, die in Schächters ambitionierten Konzerten mitwirkten.

Die ersten musikalischen Klänge, die man vernimmt, sind nicht aus Verdis Requiem, sondern Bachs klagende Chaconne in d-Moll, gespielt vom Konzertmeister. Genau dieses Stück erklingt auch am Höhepunkt von Mieczysław Weinbergs Oper Die Passagierin, die erst kürzlich zum ersten Mal in Russland aufgeführt wurde und in den letzten sechs Jahren in zahlreichen anderen Städten inszeniert wurde. In der Oper spielt ein Violinist, dem für die SS-Offiziere zu spielen befohlen wurde, trotzig Bachs Chaconne anstelle eines banalen Walzers. In diesem Moment fühlen wir, wie Musik über politische Differenzen hinwegsteigen und ebenso den Willen und moralischen Widerstand der Unterdrückten verkörpern kann. Angesichts des lateinischen Textes des Requiems und der scheinbaren Distanz zu jüdischen Praktiken sorgten sich manche in Terezín, dass es den Anschein haben könnte als entschuldigen sie sich für ihren Glauben, indem sie Verdis Werk singen. Die kollektive Meinung jedoch war, dass eine Interpretation des Werkes es ihnen gestattete, den Nazis zu singen, was sie nicht zu sagen wagten.

In diesem Konzert im Wiener Konzerthaus hörte man den Tschechischen Philharmonischen Chor Brünn und die Wiener Akademie mit einem packenden Solistenquartett aus Aga Mikolaj, Annely Peebo, Brude Sledge und Jongmin Park. Die durchdringende Kraft von Verdis Requiem kann meiner Erfahrung nach im Konzertsaal unter Erwartungen von Exzellenz und Virtuosität leiden. Die gewaltigen Eruptionen des Dies irae verfehlen nur selten ihre Wirkung, doch die ausgedehnten Passagen können an einem vorbeigehen, ohne viel Reflektieren über das, was gesungen wird, auszulösen. Aus stilistischen Gründen ist es leicht, die dramatischen Qualitäten der Partitur als opernhaft und daher fiktional zu betrachten, nicht als begründet in individueller und kollektiver Erfahrung, die uns unmittelbar berühren kann. Die immens kommunikative und menschliche Umsetzung des „Defiant Requiem“ hat die Art, wie ich diese Musik und diesen Text höre, für immer verändert.

Viele Abschnitte des „Defiant Requiem“ beginnen und/oder enden nur mit Klavierbegleitung (Miriam Zuziaková), die uns einlädt zu hören, wie die Menschen in Terezín diese Musik ohne Orchester erlebt haben. Es wäre den Sängern, wie uns, nicht möglich gewesen, ihre Erinnerungen an vollere Klanglichkeit durch das Klavier auszublenden. Selbst wenn das volle Orchester im Konzerthaus einsetzte, vermittelten bestimmte Phrasen und besonders Momente der Stille neue, dringliche Bedeutung, beispielsweise Jongmin Parks kontrolliertes „Salva me“ am Ende des Rex tremendae, genauso wie jede einzelne Bitte um Frieden und Erlösung von ewigem Tod. Unerwartet und willkommen war das besonders ekstatische Sanctus nach einem Auszug aus einem Interview, in dem ein früherer Terezín-Häftling die „pure Freude“ betonte, die das Singen von Verdis Musik brachte. Die Requiem-Proben, so sagte sie, haben ihr Leben gerettet.

Die dunkleren Wendungen am Ende des „Defiant Requiem“ spiegeln Entwicklungen in den letzten sechs Kriegsmonaten, als die Nazis vertuschten, wie das Camp wirklich funktionierte, als das Rote Kreuz das KZ besuchte, und vor Ort ein gänzlich irreführender Film gedreht wurde. Es war surreal, Auszüge dieses Filmes während des Agnus Dei zu sehen. Schächters Gruppe wurde angewiesen, für das Rote Kreuz zu singen. Zu dieser Zeit war sein Chor sehr geschwächt und auf etwa sechzig Stimmen reduziert, also versuchte er, neue Sänger anzuwerben. Schächter war seiner Mission noch immer verpflichtet, doch seine Hoffnung, dass die Besucher die wahre Bedeutung hinter dem Konzert sehen würden, erfüllte sich nicht. Er kam auf einem Todesmarsch um, kurz bevor der Krieg endete. Während einige seiner Chorsänger überlebten, ehrt das Ende des „Defiant Requiem“-Konzertes die, die verstummten. Der Chor und das Orchester verließen nach und nach die Bühne zu den Klängen einer klagenden Klarinette, von einer Violine gedoppelt, und wie am Anfang war sie das einzige Instrument, das ganz am Ende hörbar war, gerahmt nun nicht von einem Orchester und einem Chor, sondern nur mehr den Lichtern ihrer leeren Pulte.

 

Aus dem Englischen übertragen von Hedy Mühleck.

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