Mit der Jazzrausch Bigband und den Bergson Phil’ haben die Macher des Kulturkraftwerks Bergson im Münchner Westen bereits zwei hauseigene Orchester an Bord. Nun ist die Zeit reif für einen weiteren Klangkörper, der die pure Kraft und Emotion von Stimmen in den Fokus rückt. Am Karfreitag präsentierten sich im ausverkauften Elektra-Tonquartier erstmals die „Bergson Voices“, der junge Chor des Hauses, der im Stamm sieben professionelle Vokalist*innen umfasst und mit zusätzlichen ambitionierten Laien auch größere Chorprojekte erarbeiten will.

Bergson Voices © Bergson | Sebastian Reiter
Bergson Voices
© Bergson | Sebastian Reiter

Leiter dieses Ensembles ist der 1985 geborene Münchner Komponist Johannes X. Schachtner, der sowohl als Komponist wie als Dirigent langjährige Erfahrung mitbringt. Passend zum nachdenklichen Grundcharakter des Karfreitags spannt Schachtners Programm den Bogen einer Art von Einkehr, von Ruhe. Seine schöpferische Neugier richtet sich gern in Richtung der Romantik; so entstanden bereits früher Neufassungen und Instrumentationen, die einen ungewohnten Blick auf altbekanntes Repertoire ermöglichen, selten gehörtes neu beleuchten oder romantische Traditionen kompositorisch weiterdenken. Er sieht sich dabei durchaus in der Tradition bürgerlicher Hausmusik gerade zur Zeit der Romantik, als es – in Ermangelung von gespeicherten Musikaufnahmen – notwendig war, Werke für die zur Verfügung stehenden Musizierenden und deren instrumentale Fähigkeiten zu arrangieren.

Den Beginn machte am Karfreitag Schachtners Historien-Kantate Nr. 2 „Passion nach dem Evangelisten Johannes” für Soli, Chor und Violoncello aus dem Jahr 2014, die auch eine Reflexion über historische Passionsvertonungen ist; eine Wahl, die man sicher als Versprechen werten darf, zukünftig Chorwerken der Gegenwart ebenso einen prominenten Platz einzuräumen. Die halbstündige Passion nach dem Johannes-Evangelium ist eine liturgisch korrekte Vertonung der Leidensgeschichte Jesu.

Sie bildet die Kargheit der Liturgie ab, die an Karfreitag stattfindet, im Verzicht auf brausendes Orgelspiel etwa. Sie wirkt eher wie eine Gebetsmeditation, unterbricht den rezitativisch vorgetragenen Passionstext nur durch Musik des Solocellos, das eher Momente von Gefühlsausbrüchen wie bei Jesu Verscheiden gestaltet als die Singenden begleitet. Diese spielen dazu auf perkussiven Holzinstrumenten, sodass man noch eine weitere, reduzierte und doch impulsiv erregte Klangform erlebt. Manche Textstellen werden gesprochen. Clemens Weigel gestaltete die Violoncello-Soli expressiv, bei Jesu Backenstreich etwa im Ausdruck des Schmerzes. Felix Janssen und Johannes Ganser (Tenor) sowie Gabriel Rupp (Bariton) gefielen beeindruckend in den Rollen des Evangelisten, von Jesus und Pilatus; Miriam Fußeder, Corinne Achermann (Sopran), Katharina Guglhör und Laure Cazin (Mezzo) berührend in Volksszenen oder kontemplativem Erschrecken.

Johann Sebastian Bachs Sinfonia des Actus Tragicus, BWV 106 hatte Schachtner als Kontrafaktur transkribiert: ein ergreifendes Totengebet für siebenstimmiges Vokalensemble, in dem die beiden Sopranistinnen mit geschmeidigen Sopranhöhen herausleuchteten. Im Gegenzug beeindruckte die Trenodia senza parole nach Giacomo Puccinis frühem Requiem-Versuch als nachdenklicher Klagegesang, bei dem sich zur intensiven Melodie des Violoncellos noch die Klavierakkorde des Pianisten Amadeus Wiesensee gesellten.

Abschließend ein Spätwerk von Giuseppe Verdi: drei seiner Quattro pezzi sacri. Das vierte, ein reich besetztes Te Deum, hätte dem Charakter dieses Passionskonzert nicht entsprochen. Alle Stücke kreisen um die Gottesmutter Maria, was gerade in der Passionszeit eine passende Sichtweise ist. Johannes X. Schachtner hatte hier Fassungen für Frauenchor, Vibraphon und Klavier erstellt. An Stelle von gemischtem Chor nun vier solistische Frauenstimmen im Ave Maria, das in ruhigem Fluss seiner komplexer Harmonik wunderschön aufblühte und sich mit den farbigen Klangtupfern von Vibraphone (Patrick Stapleton) und Pianoforte verband. Maria voller Schmerz unter dem Kreuz: auch im Stabat Mater und den Laudes zeigt sich Verdi auf der Höhe seines Schaffens als eigenwilliger Tontüftler, der seinen jahrzehntelang ausgefeilten operndramatischen Stil mit intensiven Studien zur Alten Musik verschmolz. Die Sängerinnen und Instrumentalisten warteten auch in diesen relativ kleinen Werken mit überwältigender Ausdrucksfülle auf. Männer- wie Frauenstimmen waren gut ausgeglichen, beobachteten mit offenen Ohren aufmerksam das Klanggeschehen, so dass man den jungen Bergson Voices und seinem Leiter herzlich eine erfolgreiche weitere Entwicklung wünschen darf.

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