Arnold Schönbergs Geburtsjubiläum ist gerade ein Jahr vorüber, und trotz reichlicher Beschäftigung mit ihm bei den Salzburger Festspielen blieb noch eines seiner wenig beachteten Werke aufzuschlagen: Erwartung, Monodram in einem Akt für Sopran und großes Orchester Op.17, 1909 entstanden auf einen Text von Marie Pappenheim. Eine halbstündige Szene, gelegentlich auch nur rein liedhaft im Konzertrahmen aufgeführt. Immerhin gab es zwei Jahre zuvor an der Bayerischen Staatsoper einen Versuch, sich dem Werk auf der Opernbühne zu nähern: dort inszenierte Krzysztof Warlikowski das Werk als weiter entwickeltes Seelendrama zu Henry Purcells Dido and Aeneas, drei Jahrhunderte früher entstanden, was in einer mutigen experimentellen Modernisierung durchaus eingängig gelang.

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Aušrinė Stundytė
© SF | Ruth Walz

Salzburg hatte nun in der Felsenreitschule eine „halbszenische Aufführung“ der Erwartung angekündigt, deren Regie niemand geringeres als Peter Sellars führte. Er schlug von der Halboper einen beziehungsreichen Bogen zu Schönbergs Lehrer Gustav Mahler, dessen finaler Abschied in seinem symphonischen Lied von der Erde, für einen ähnlich großen Orchesterapparat, genügend thematische Anknüpfung bot. „Nichts Halbes und nichts Ganzes?“ mochte man sich, ein wenig respektlos einer alten Lebensweisheit folgend, angesichts der Ausgangslage fragen.

George Tsypin hatte, bereits durch die archaischen Bogenreihungen in der Bühnenwand akzentuiert, eine nur karg möblierte Spielfläche entworfen: linker Hand einige wuchtig lastende, metergroße Kieselsteine, gegenüber ein Quadrat aus neun stilisierten Baustamm-Attrappen mit drehbarem, metallisch reflektierendem Ast- und Blattwerk, in dessen Unterholz die gespielten Frauen Schutz suchen konnten. Ganz faszinierend die atemberaubenden Lichteffekte von James F. Ingalls, dessen ruhig ausgesteuerte Projektionen und Fokussierungen gefühlt eine weitere Deutungsebene im Drama öffneten.

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Aušrinė Stundytė
© SF | Ruth Walz

Eine namenlose Frau begibt sich in Pappenheims Libretto auf die Suche nach ihrem ausbleibenden Liebhaber. Ein klug gewählter Titel dieser Mini-Handlung, die zunächst auf die wartende Frau und ihre Erwartung an das Wiedersehen mit dem Liebsten Bezug nimmt. Angstvoll durchquert sie den nächtlichen Wald und gelangt schließlich auf eine Straße, wo sie die Leiche ihres ermordeten Geliebten vorfindet. Für Peter Sellars sind beide, Mann wie Frau, Mitglieder einer Widerstandsbewegung, die sich unabhängig voneinander bewegen können. Auf viele Fragen an den Mann wird die Frau keine Antwort bekommen, verstohlenes Leben im Untergrund macht das Dasein der beiden instabil, unerfüllt. Vielleicht könnte auch eine andere Frau, Terroristin wie er, im Spiel sein, angesetzt, ihn auszuspionieren. So bleiben der Frau nur unsichere Erinnerungen an sein Leben, seine Zärtlichkeit, seinen Mut. Dass bereits am Anfang zwei Schergen einen sperrigen Leichensack auf die Bühne ziehen, sich den Erhalt von ihr auf dem Tablet quittieren lassen, bestätigt die Aussichtslosigkeit ihres Wartens.

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Aušrinė Stundytė
© SF | Ruth Walz

Die litauische Sopranistin Aušrinė Stundytė hatte die Rolle der Frau – ebenso wie die der Dido – in München bemerkenswert ausgefüllt. Stundytė nutzte nun den von Sellars vorgegebenen Raum in der Felsenreitschule ganz frappierend aus, die Brüche in ihren Empfindungen szenisch auszudrücken. Mit enormer Körperlichkeit machte sie Momente von Verletzung, Hoffnung wie Verzweiflung eindrücklich spürbar, Glut und Kälte der Regungen dazu gespiegelt im Farbrausch des Lichts. Sängerisch blieb Stundytė teilweise hinter ihren Fähigkeiten, in einer auch im vorderen Drittel der Halle als ausreichend in der Aussprache zu empfindenden Textdeutlichkeit zu agieren; zumindest half die Übertitelung des Texts, dem Stoff folgen zu können und sicher zu sein, dass nicht der „Mohn“, sondern „der Mond schwankt“. Vor der gewaltig breiten Bühne blieb öfters nur die Empfindung einer Vokalise, die hinter einem fast nervös flimmernden Stimmansatz geführt wurde. Im Vergleich dazu wirkte Stundytė in der Münchner Inszenierung, in eher reduzierter Bühnengröße, deutlich stimmiger.

Fleur Barron © SF | Ruth Walz
Fleur Barron
© SF | Ruth Walz

Hochkarätige Orchestermusik war von den Wiener Philharmonikern zu genießen, die unter Leitung von Esa-Pekka Salonen Schönbergs Komposition vollendet ausleuchteten. Ein schmales, instrumentales Band zu Mahler knüpften sie mit Anton Weberns Fünf Stücken für Orchester, Op.10, in denen insbesondere auch die kammermusikalische Brillanz des Klangkörpers zu bewundern war. Tief durchdrungen wirkte, nahtlos anschließend, Salonens philologisch präzises, ungemein detailverliebtes Dirigat von Mahlers Abschied, erreichte im halbstündigen Orchesterlied eine herausragende, unpathetische Transparenz.

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Fleur Barron
© SF | Ruth Walz

Auf diesem edlen Klangteppich wusste die in Nordirland als Tochter einer singapurischen Mutter und eines britischen Vaters geborene Mezzosopranistin Fleur Barron eine berührende Innerlichkeit zu entfalten, um ganz sorgsam zu artikulieren und dezent an Details der Artikulation zu feilen. Ihr weiches Timbre und die klanglich abgerundete, oft sogar kammermusikalische Annäherung an Mahlers Texte, 1908 von Hans Bethges Nachdichtungen chinesischer Gedichten eines Meng Haoran und Wang Wei entnommen, blieben dicht am Wort, wurden durch ihr sparsames Spiel zwischen den stilisierten Stämmen umso eindringlicher. Fast konnte man meinen, die Zeit stillstehen zu fühlen; versunken in Wang Weis Beschreibung One morning turns into an eternity, die auch dem Konzert den vieldeutigen Titel gab. Schauerlich Schicksalhaftes und zugleich so trostspendende Schönheit dieser Musik verschmolzen hier in der Totalen genauso präsent wie im Detail, in den vielen instrumentalen Solo-Stimmen. Beispielhaft sei hier bewundernd nur das herausgehobene Flötensolo von Karlheinz Schütz genannt, aus einer der oberen Arkaden so hingebungsvoll geblasen.

„Die Welt schläft ein“, verhieß Barron mit Milde, blühte sanft auf in „O Schönheit“. Verlöschende „ewig ….“-Rufe schienen noch lange im abgedunkelten Raum zu schweben, eine kleine Ewigkeit der Ergriffenheit nach 70 Minuten Musik.

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