Es ist eher selten zu erleben, dass Künstler bereits nach dem ersten Werk des Abends laute Bravo-Rufe im Beifall ernten können. So geschehen jedoch im Konzertabend des Berliner Leonkoro Quartetts bei den diesjährigen Salzburger Festspielen. Da stand Joseph Haydns Streichquartett D-Dur, Hob. III:34 als erstes auf dem Programm. Haydn und Bravi? Zwar sind glücklicherweise die Zeiten passé, in denen mancher Musikliebhaber über „Papa Haydn“ lächelte. Aber wenn ein Quartett derart entdeckungsfreudig und differenziert sich in Haydns Werk vertieft wie die vier jungen Leonkoro-Musiker, war der frenetische Jubel nur zu verständlich: weil die Hörer im Großen Saal der Stiftung Mozarteum allzu gern ihre Neugier auf Haydns kompositorische Einfälle wecken ließen.

Dieses besonders originelle Quartett aus Haydns Op.20 beginnt mit einem scheinbar banalen Coup: ein vierfaches d im Unisono des Allegro, wie ein Klopfmotiv im Piano, das der Primarius Jonathan Schwarz mit feinen Akzenten versah, in der Wiederholung neue Wendungen fand im Schwung des leicht veränderten, sechstaktigen Themengedankens. Die Variationenfolge im Anschluss, als Un poco Adagio affettuoso mehr verschleiernd als erklärend und längster Einzelsatz, reichte das Spiel mit dem in sanfter Marschbewegung gehaltenen Thema einzelnen Instrumenten zu (Zweite Violine und Bratsche / Cello / Erste Violine), bevor alle in der vierten Variation den Gipfel markierten in einer langen, emotionsgeladenen Coda. Das knappe Menuetto alla zingarese überraschte mit rhythmischen Rückungen durch Sforzati, das Trio durch sein Cellosolo, bevor im Presto scherzando bei leichtem, geistreichem Spiel zwischen Witz und Volksmusikelementen nochmals delikate Reibungen zu genießen waren.
Erst 2019 fand in Berlin das Leonkoro Quartett zusammen. Das Ensemble wird von den Brüdern Jonathan und Lukas Schwarz an erster Violine und Violoncello gerahmt. Mayu Konoe bildet an der Bratsche die Mittelstimme; für die erkrankte Amelie Wallner konnte hier Jona Schibilsky als zweite Violinistin gewonnen werden. Leonkoro, aus dem Esperanto „Löwenherz“, spielt nicht zufällig auf Astrid Lindgrens Kinderbuch über zwei Brüder an. Schon 2022 wurde das Ensemble mit dem renommierten Musikpreis der Jürgen-Ponto-Stiftung ausgezeichnet, triumphierte anschließend beim Internationalen Streichquartett-Wettbewerb in der Londoner Wigmore Hall, errang den 1. Preis beim Concours International de Quatuor à Bordeaux. Ein Markenzeichen der Leonkoro: dass die hohen Streicher im Stehen musizieren, nur der Cellist im Sitzen, was hörbar die Energiedichte des Ensembleklangs potenziert.
Ein starkes Zeichen von Selbstvertrauen, den viel zu selten aufgeführten Paul Hindemith in den Mittelpunkt des Konzerts zu rücken. Sein 1918 noch während seiner Soldatenzeit an der Front entstandenes Streichquartett Nr. 2 f-Moll, Op.10 kreist zwischen deftiger Komik und ernstem Lebenswillen. Fast wie eine Collage taumelt die Musik zwischen Kaffeehaus und Militärmusik, Trauermusik und Totentanz. Hier gelang es den vier Künstlern, die oft schroffe und grelle Stimmung der Abschnitte ebenso wie seelenvolles Empfinden des Komponisten dicht zusammenzurücken, ja geradezu schmerzhaft zu verweben. Zu Anfang ein melodiöser Tuttiteil, exponierte Rhythmusartistik, ein fugato wie aus dem Nichts: chromatisch gleitende Rutschpartien schienen Bilderfolgen von Hindemiths Kopfkino über damaliges Lebens zu reflektieren. Stationen seiner Vita könnten auch die Variationen sein, die das Quartett so herrlich zwischen intim und extrovertiert ausbreitend durchschritt. Was Hindemith am Schluss nur knapp mit Sehr lebhaft bezeichnete: ein Vorgeschmack auf die Wilden Zwanziger, den die jungen Löwenherzen mit expressiven Accelerandi und Ritardandi ebenso goutierten wie mit virtuosem Scherzando und postromantischem Schmelz. Ein zweiter, ebenso stürmisch bejubelter Höhepunkt, standing ovations!
Vom erkrankten Franz Schubert 1824 zwischen Dampfbädern und giftigen Quecksilberdünsten komponiert: im Streichquartett d-Moll, D 810 „Der Tod und das Mädchen“ bewies das Leonkoro Quartett einmal mehr immense Ausdrucksgewalt sowie lyrische Feinzeichnung. Gerade im zweiten Satz Andante con moto gab Jonathan Schwarz einen drängenden Puls vor, machte die Dramatik der in Matthias Claudius' Dichtung beschriebenen Todesangst des Mädchens umso deutlicher, schien das Pochen der Begleitfiguren vom erstarrenden Herzschlag vor der Begegnung mit dem Knochenmann zu stammen. Atemberaubend das Presto-Finale, das noch einmal hurtig und rauschhaft wie eine Geisterschar durch das barocke Rund des Saales zog.