Mit Händels Esther traf beim zamus: early music festival in gewisser Weise Heimat auf Heimat. In der erstmals nach Ausschnitten in Halle und Göttingen in Europa jetzt in Gänze präsentierten hebräischen Adaption des 1759 vom venezianischen Rabbi Saraval übersetzten Librettos unter Leitung des seit dreißig Jahren in Deutschland lebenden israelischen Cembalisten und mit Festivalleiter Ira Givol kollegial verbundenen Shalev Ad-El spielte Concerto Köln das Werk des ausgewanderten Händel auf.
Es thematisiert die Rettung des vom Minister Haman genozidal bedrohten jüdischen Volkes im persischen Reich König Ahasveros', wobei die alttestamentarische Grundlage die heldenhafte, an die mit dem Purimfest gedachte Esther in den Mittelpunkt des Geschehens stellt. Bewegende und reflektierende Stimmung demnach, die einerseits zum Rahmen des bipolaren Mottos „dunkle Tage – helle Nächte“ passt, andererseits auch zu der wichtigen Verzahnung von der gemeinsamen jüdisch-christlichen Kultur mit dem Verständnis heute, wenn jüdisches Leben – seit 1700 Jahren Bestandteil in Deutschland – abermals zunehmenden Bedrohungen ausgesetzt ist. Hinzu kommt der musikalisch tragende Aspekt, dass Händel Kompositionen in seinem ersten Oratorium recycelte, die er zuvor schon in der Brockespassion zum Leiden Jesu verwendet hatte.
Weitere Einflüsse beziehungsweise direkte Übernahmen finden sich natürlich in den 1732 eingearbeiteten, bei Ad-Els 2001 eingerichteten Fassung allerdings ausgelassenen Coronation Anthems und dem eigentlichen Vorläufer, der Händel scheinbar lange begleitenden Masque Haman and Mordecai. Länger in Erinnerung behalten werde auch ich diese Aufführung, die nach über fünfzehn Monaten Stille erstmals einen Chor in die Kölner Philharmonie und damit in die Ohren im Saal brachte. Das von Yuval Weinberg einstudierte, 16-köpfige CHORWERK RUHR ließ dabei die versammelte Stimme der Israeliten in leichter, beweglicher und feierlich-kultivierter Farbigkeit vernehmen, die mit ihren vokalaufgehenden Bögen und ihrer erstaktlichen Empathie der Klage, Besänftigung und Hoffnung für den Klang und Effekt der publikumswirksamen Identifikation sorgten. Zu deutlich mehr Energie und größerer Bereitschaft zu Dramatik forderte sie Ad-El im zweiten und dritten Akt, als die aufopfernde Widerstandskraft und das Lob über Esthers mutiges Eingreifen und familiär wie denkbar weit darüber hinaus bewiesenes Rückgrat die extrovertiertere Festlichkeit und den hymnisch-wuchtigeren Impetus des Chores verlangte. Sie kulminierten im finalen „Hallelu-Jáh“ – dem so einzigen Einsatz von Trompeten und Pauken des ebenfalls zunächst unspektakulär abgeklärt aufspielenden, im Verlauf dann dramaturgisch aufgestachelt und gewohnt mitreißenden Concerto Köln –, bei dem die fünf Solisten ihren jeweiligen virtuosen Vorlauf dazu ansetzen konnten.
Dass Marcus Ullmann in der Figur des Esther anverwandten und auslösend-unbeugsamen, doch aus royaler Loyalität gleichsam bedächtiger wirkenden jüdischen Palasthüters Mordechai darin mit dem (Beinahe-)Bruch der Tenorstimme in der Höhe Probleme haben würde, kam nicht überraschend. Zuvor hatte er bereits trotz starker Bemühungen und eher seltenen Erfolgs um einen legatorischen und angenehmeren theatralischeren Besatz zum einen das stimmbandmäßig unfeine Leiern, zum anderen seine Überforderung mit dem tonlichen Umfang gezeigt. Hochachtung verdient jedoch natürlich – wie bei allen – die sprachlich wie dadurch atemtechnisch anspruchsvolle, ungewohnte Bewältigung des Hebräischen, dem in besonderem Maße Alex Potter gerecht wurde. Mit seinem Erscheinen als Ahasveros zum zweiten Akt hielt ein sowohl rhythmisch eingefasstes als auch elegantes Sprachgefühl Einzug, das wunderbar einherging mit den sanfteren und voluminöseren Vorzügen Potters Alt, mit denen er sich bei Esther in nicht abschlagender Güte und Gerechtigkeit aus der Intrige lavierte.
Zu diesem Handeln veranlasste ihn Esther eben vielmehr, als Hana Blažíková als königliche Kindsfrau ihm mit sopran-tugendlicher Reinheit, einschneidender, um Phrasierungsgestaltung bedachter Noblesse wie einredender, kämpferischer, zierlich-bewandter Natur entgegentrat. Als ihr Sprachrohr des unter Haman leidenden Volkes, den Tomáš Král mit einer erschreckend weich von sich einnehmenden, perfide-gelassenen Stärke, letztlich im eigenen Todesurteil schon anerkennenden Demut gab, fungierte die wortführende Israelitin. Wie passend, dass Dana Marbach – wenn doch mit etwas mehr Vibrato – daher wirklich eine gesangliche Linie der deklamatorisch-flehenden Klarheit und des zarten, eindrucksvollen In-den-Dienst-stellens mit Esther bildete.