Das jüngste Konzert der Berliner Philharmoniker unter der Leitung von Tugan Sokhiev brachte mit Franz Liszts Zweitem Klavierkonzert und der Vierten Symphonie von Schostakowitsch zwei Werke zu Gehör, die nicht zu den Repertoirestücken des Orchesters gehören. In beiden Kompositionen sind die jeweiligen Gattungsgrenzen weit überschritten worden, was die Kombination dieser beiden ansonsten ganz unterschiedlichen Stücke letztendlich doch schlüssig macht.

Alexandre Kantorow © Lena Laine
Alexandre Kantorow
© Lena Laine

Alexandre Kantorow debütierte mit Liszts Klavierkonzert bei den Philharmonikern. Er spielt sich dabei nie in den Vordergrund, sondern begleitete häufig die Instrumente des Orchesters, während diese die Hauptthemen spielten, wodurch wunderschöne Dialoge entstanden. Wie als Improvisation antwortete Kantorow auf die klangschöne Vorstellung des Themas in den Holzbläsern, verzögerte den Anschlag und setzte dabei neue Akzente. Seine Virtuosität wirkte nie exzentrisch und blieb auch bei schnelleren Tempi stets elastisch im Spiel. Beim d-Moll-Thema, einem Trauerzug mit scharf punktierten Rhythmen, verzichtete er auf jene Kraftmeierei, durch die Aufführungen von Liszts Musik bis heute auf die falsche Fährte gelenkt werden. Dass Kantorows Spiel zum Introvertierten neigt, kam besonders gut im dritten Teil des Klavierkonzerts zur Wirkung, wo er mit Martin Löhr am Cello einen inniglichen, kammermusikalischen Dialog führte.

Sokhiev und das glänzend aufgelegte Orchester wussten sich der „Grandiosomanie“ Schostakowitschs Vierter Symphonie zu stellen. Brutal, wie von maschineller Bewegung angetrieben, klang das erste Thema des Kopfsatzes. Sokhiev nahm diesen Satz so ernst, dass manche Ironie etwas überspielt wurde – so wäre doch die Passage, in der Schostakowitsch das Thema wie einen Tambourmajor in selbstgefälliger Positur karikierte, noch deutlicher als Persiflage hervorzuheben gewesen.

Schostakowitsch hat dem Orchester in der Symphonie viel zugemutet. Es wird nicht viele Klangkörper geben, die in der Lage dazu sind, das in irrwitzigen Sechzehnteln davon rasende Presto-Fugato der Streicher derart präzise zu spielen; die hinzutretenden Bläser trieben diese Passage geradezu in einem Brachialmarsch. Das Ganze war aber nicht allein instrumentale Virtuosität, sondern wurde als ein Stück tönende Biographie musiziert: als eine atemlose Hatz, ein Ausbruchsversuch, eine Flucht.

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Tugan Sokhiev dirigiert die Berliner Philharmoniker
© Lena Laine

Zum Ende des ersten Satzes, wie auch in anderen Teilen in der Symphonie klagen Menschen in Soloinstrumenten und setzen der Gewalt verzweifelte Reaktionen entgegen: So etwa im Seitenthema, das der Solo-Fagottist Stefan Schweigert glänzend vortrug, oder im dritten Satz Jonathon Ramsay auf der Solo-Posaune. 

Zu Beginn des zweiten Satzes täuschen Bruchstücke ein Menuett vor, doch spätestens der schneidende Klang der Es-Klarinette ließ keine Zweifel daran aufkommen, dass auch in diesem Satz Unverfremdetes keinen Platz hat. Das Orchester ließ im Zentrum eine Märchenwelt erklingen, die gar nicht übertrieben parodiert werden musste, weil die Scheinhaftigkeit und Banalität der Walzer auch ganz sorgfältig musiziert unmissverständlich als manipulierte Idylle hervortreten konnte. 

Im letzten Satz drängte Sokhiev auf C-Dur hin. Doch auch in dem dann erreichten ohrenbetäubenden dreifachen Forte kann dieser Jubel nicht mehr bieten als einen gewaltsam erzwungenem Triumph, schon weil die vielen leiterfremden Töne jeden Wohlklang grell stören. Wie im Filmschnitt folgt eine Walzergroteske, die Sokhiev dann stimmig als falsch sentimental-schön entlarvte. Die Bläser und Pauken brüllten die Symphonie in die Coda, doch das „Lebensdrama des Komponisten“ endete nach dieser gewaltsam herbeibefohlenen Duraufhellung im Ton der Erstarrung, in der das Ausmaß der Zerstörung erst eigentlich zu erfassen war. Rauch schien in Tönen aufzusteigen, Donnergrummeln aus der Ferne zu klingen. Wohl kaum einmal habe ich ein C-Dur so eiskalt und vereinsamt wahrgenommen.

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