Sommerzeit ist Festivalzeit. Wo man hinschaut gibt es die geballte Ladung Kultur, meist in hochkarätiger Besetzung, und die Auswahl ist oft so groß, dass man sich kaum für nur einige wenige Veranstaltungen entscheiden kann. Doch was tun mit den lieben Kleinen? Babysitter? Abgesagt. Oma und Opa? Haben selbst was vor. Mitnehmen? Bloß nicht! Mit leichten Grauen malt man sich aus, wie der Nachwuchs auf die so heiß ersehnte Rachearie reagiert („Mama, warum schreit die Frau denn so?”), unruhig auf seinem Sessel umher rutscht und schließlich in der hochemotionalen Sterbeszene - das Publikum hält ergriffen den Atem an - ziemlich hörbar quengelt “Ist das laaaangweilig.”

Ist das denn aber wirklich so - finden Kinder klassische Musik langweilig? Und wenn ja, warum? Wir haben mit einigen der größten Klassik-Festivals in Deutschland und Österreich gesprochen und einmal nachgefragt, welche Erfahrungen sie mit einem sehr jungen Publikum gemacht haben, und wie man auch dem Publikumsnachwuchs eine positive Erfahrung bieten kann. Hier geben sie spannende Einblicke in die Ideen, die hinter dem Programm stehen. So vielseitig wie die Festivals waren auch die Antworten, doch in einem Punkt sind sich alle einig: die Ursache für ein mangelndes Interesse an der klassischen Musik seitens eines jungen Publikums liegt im aktuellen Erscheinungsbild dieser Musik: „Viele haben Berührungsängste gegenüber klassischer Musik und halten sie für elitär und unzugänglich,” berichtet Stefanie Momper vom Rheingau Musik Festival. „Mit ein paar Informationen dazu können diese Hemmungen aber oft schon abgebaut werden.” Ähnliche Erfahrungen hat auch Lena Oymanns vom Beethovenfest Bonn gemacht: „Es hat sicherlich auch damit zu tun, dass Klassische Musik bei vielen - jungen und älteren - Menschen im Alltag nicht vorkommt.”

Was aber können Festivals tun, damit sich das ändert? Kann man in diesem Format einem solchen Auftrag der Musikerziehung überhaupt gerecht werden? Absolut, finden unsere Gesprächspartner - auch, wenn es nicht immer leicht ist, wie Ulla Kalchmair von den Salzburger Festspielen berichtet: „Viele bedauern, dass nur noch ein Event die „Couch Potatoes“ von TV und Computer losreißen kann. Und mancher Konzertmanager verzagt, weil die so genannte Hochkultur mit ihrem Publikum zu altern scheint. Die Festspiele setzen Taten.“ Taten, das ist das Zauberwort: Kinder erfahren nicht nur mit dem Geist, sondern vor allem mit den Händen, durch Ausprobieren, Mitmachen und Selbstgestalten. Das wissen auch die Festivals, und bieten gezielt Veranstaltungen für junges Publikum, in denen die Kinder ganz nah am Geschehen sind.

Viele Festivals haben dafür separate Programme ersonnen, in denen junge Menschen aktiv werden können. Für die jüngsten Zuschauer bieten sich hierfür Kinder- und Familienfeste an, mit vielerlei Programmpunkten, bunten Kostümen und reichlich Möglichkeit, mitzutanzen und mitzumusizieren. Dadurch werden schon die Kleinsten spielerisch an die „Erwachsenen-Musik“ herangeführt, Berührungsängste entstehen gar nicht erst. So findet sich für so gut wie jede Altersklasse etwas – für Schulkinder etwa ein Klassenbesuch durch Musiker, die am Tag zuvor oder danach in der Region konzertieren. In den Programmen wird jedoch nicht nur informativ gearbeitet. Gerade für etwas fortgeschrittenere junge Zuschauer gibt es beispielsweise die Möglichkeit, im Interviewen von Musikern oder der Organisation eines Konzertes sogar ein mögliches späteres Berufsfeld zu erproben.

Ein zusätzlicher Schwerpunkt der Festivals ist die Förderung von künstlerischer Seite, durch Stipendien und Programmen wie dem Salzburger „Young Directors“ und „Young Singers Project“ oder einem jährlichen Operncamp, in dem Kinder und Jugendliche nicht nur hinter den Kulissen tätig werden, sondern auch einmal Bühnenluft schnuppern können. Sei es nun Kleinkind oder Künstler von Morgen, bei jedem dieser vielfältigen Angebote ist das Wichtigste, so Lena Oymanns, „jungen Menschen emotionale Erlebnisse im Zusammenhang mit Musik zu ermöglichen, die im Gedächtnis bleiben.“

In manchen Fällen muss zunächst erst einmal eine Basis für ein solches emotionales Erlebnis geschaffen werden, besonders im Bereich Oper. So werden Opern gekürzt und sprachlich vereinfacht, um auch sehr jungen Zuhörern einen Zugang zu den Werken zu ermöglichen. Dafür arbeiten Festivals regelmäßig mit bestimmten Kompanien wie der Taschenoper Lübeck zusammen, die die großen Werke kindgerecht aufarbeiten. Haben die Kindern (oder Familien) da Favoriten, wollen wir wissen, und es scheint, als neben allseits bekanntem Inhalt wie Märchen auch die Evergreens der Opernhäuser bei Groß und Klein ganz oben auf der Liste stehen: „Unser gesamtes Jugendporgramm ist immer sehr schnell ausverkauft, insbesondere Sitzkissenkonzerte,“ berichtet Maria Gaul von den Münchner Opernfestspielen. „Die Vorstellungen, die sicherlich bis heute am populärsten bei Kindern und Familien sind, sind noch immer die Zauberflöte und Hänsel und Gretel.“

Bei all diesen Ideen kommen den Festivals die Exklusivität und inhaltliche Dichte ihrer Programme zugute, auch, wenn es dafür andere Schwierigkeiten gibt. Konzerthäuser beispielsweise verfügen üblicherweise über ein eigenes Orchester, sodass immer Musiker im Haus sind, die mit vergleichsweise geringem Aufwand auch einmal einen Besuch in Schulen machen oder eine zusätzliche Kindervorstellung spielen und mit können. Im Rahmen eines Festivals muss sich unter den Gastmusikern zunächst jemand finden, der gewillt (und geeignet) ist, sich auf diese Arbeit einzulassen. Dafür aber entsteht die Möglichkeit, einmalige Angebote zu machen, bei denen Spielstätte und Programm zueinander passend ausgesucht sind, und durch die Zusammenarbeit mit verschiedensten Künstlern entstehen unterschiedliche Formate, die verschiedene Zielgruppen ansprechen.

Ein spannendes Beispiel dafür, wie flexibel das Angebot sein kann, ist das Projekt „Feel the Music“: Im Rahmen dieses Projektes können gehörlose und hörgeschädigte Kinder selbst erleben, dass Musik nicht nur mit den Ohren, sondern mit allen Sinnen erfahrbar ist. Dies ist zwar ein sehr spezielles Angebot, und doch verdeutlicht es einen wichtigen wie wirksamen Ansatz, den Lena Oymanns sehr treffend formuliert: „Festivals können sich für Ihr Publikum öffnen, auf die jungen Menschen zugehen, sie begleiten...“ Sei es in Form von Sitzkissenkonzerten oder der Illustration von Kinderkonzerten, die ein junges Publikum eher ansprechen als Künstlerbilder, der Art und Weise dieses „Sich-Öffnens“ sind keine Grenzen gesetzt, und man darf gespannt sein, was man in diesem Sommer so alles erleben kann.

 

29. Juli 2014 - Aktualisierung

Vor wenigen Tagen haben wir noch einige spannende Einblicke vom Festival Styriarte Graz bekommen, die wir Ihnen nicht vorenthalten möchten:

Wie auch die Mitarbeiter der anderen Festivals hat auch Claudia Tschida die Erfahrung gemacht, dass klassische Musik bei Kindern oft keinen besonderen Stellenwert hat: „Es fehlt die Heranführung der Kinder und jungen Leute an diese Art von Musik, da schon die Eltern keinen Zugang mehr dazu haben und sie vielfach nicht Teil des Lebens und der Hörgewohnheiten in den Familien ist. Und sie hat immer den Nimbus, schwierig zu sein (allein der Begriff „Ernste Musik“ ist ja nicht auszurotten), nicht leicht zu hören, und man müsse so viel davon wissen, um sie überhaupt hören zu können. Dazu existieren grundsätzlich wahnsinnig hohe Schwellen, die schon von Vornherein Steifheit evozieren und die in den Fragen münden: Wie verhält man sich denn bei so was? Wann darf ich denn bei so einem Konzert klatschen? Was zieht man da an? Das gilt eben schon für die Eltern und diese Haltung überträgt sich auf den Nachwuchs. Da gibt es also viel an Hindernissen abzubauen.“

Zu diesem Zwecke werden in Graz „Young People's Concerts“ angeboten, ein moderiertes live-Programm des Großen Orchesters Graz, das auch die Verbindung von Klassik in Pop nutzt, um die Zusammenhänge und Unterschiede deutlich machen. Als ebenso wichtig wie die Arbeit mit Kindern empfindet Claudia Tschida auch die Arbeit mit den Eltern, sodass in der Vorbild-Generation Hemmungen und Hindernisse abgebaut werden, und die Eltern selbst ihre Kinder aktiv mit der klassischen Musik vertraut machen und ihnen „den Samen einpflanzen. Schlussendlich aber muss man es halt erwarten können, bis die wilden Jahre der Youngsters vorbei sind und die Samen aufzugehen beginnen.“

 

Unser Dank gilt dem Beethovenfest Bonn, dem Rheingau Musik Festival, der Bayerischen Staatsoper (Münchner Opernfestspiele), den Salzburger Festspielen und dem Festival Styriarte Graz für ihre Unterstützung bei diesem Artikel.