Anlässlich der Jubiläumssaison der Oper Graz – man feiert immerhin das 125-jährige Bestehen dieses Hauses! – setzte Intendant Ulrich Lenz mit Hector Berlioz’ Les Troyens ein Mammutwerk der Operngeschichte auf den Spielplan. Die Herausforderung, dieses Werk, das alleine schon wegen seiner epischen Spieldauer und der großen Besetzung bei Solisten, Chor und Orchester nicht leicht zu stemmen ist, auf die Bühne zu bringen, ist dem Haus dabei in musikalischer Hinsicht auf ganzer Linie geglückt.

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Les Troyens
© Werner Kmetitsch

Federführend beim Erfolg des Abends waren dabei einmal mehr Chefdirigent Vassilis Christopoulos und seine Grazer Philharmoniker. Denn aus dem Graben schillerte Berlioz’ Musik in gedeckten, melancholischen Farben, dann wieder in feurig leuchtenden Schattierungen und auch mal in gespenstisch silbrigen Nuancen. So wurden die Musikerinnen und Musiker des Orchesters zu den zentralen Storytellern der griechischen Tragödie, die jede Emotion und jeden Aspekt des Dramas vor dem inneren Auge auferstehen ließen. Christopoulos und den Grazer Philharmonikern gelang es gleichermaßen, den Klang nicht zu überladen oder gar schwülstig daherkommen zu lassen, sondern den Fokus auf eine transparente, detailreiche Lesart zu legen, ohne dabei jemals die Üppigkeit von Berlioz’ Klangwelten der technischen Perfektion zu opfern.

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Ekaterina Solunya (Ascagne)
© Werner Kmetitsch

Um das Sitzfleisch des Publikums bei dieser Produktion nicht gänzlich überzustrapazieren wurden einige Striche vorgenommen (die vor allem die Ballettmusik bzw. Szenen, die für den zentralen Handlungsstrang ohnehin nicht von Relevanz sind, betrafen). Diese Entscheidung mag aus musikalisch-puristischer Sicht durchaus kritisch betrachtet werden, tatsächlich profitierte der Abend aber durchaus davon, denn die Geschichte gewann an dramaturgischer Stringenz.

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Iurie Ciobanu (Enée) und Anna Brull (Didon)
© Werner Kmetitsch

Das verbindende Element des Abends, Aeneas, war bei Iurie Ciobanu stimmlich bestens aufgehoben. Er interpretierte den Helden kraftstrotzend und mit metallischem Kern in seinem warm timbrierten Tenor, der insbesondere in den mühelos über das Orchester strahlenden Höhen beeindruckte. Schauspielerisch konnte er leider nicht an diesen positiven Eindruck anschließen, denn seine Darstellung wirkte mal hölzern und mal klischeebehaftet. Aeneas’ Sohn Ascanius gab Ekaterina Solunya da schon mit deutlich mehr darstellerischem Nachdruck und fein gesponnenem Sopranklang, wobei sie ihre Interpretation mit schimmernden Farben garnierte.

Iurie Ciobanu (Enée) und Mareike Jankowski (Cassandre) © Werner Kmetitsch
Iurie Ciobanu (Enée) und Mareike Jankowski (Cassandre)
© Werner Kmetitsch

Schicksalsträchtig beschwor Mareike Jankowski als Seherin Cassandra die nahende Katastrophe und schaffte es, trotz dramatischer Ausbrüche nie die Klangschönheit und die Gesangslinie opfern zu müssen. In dunklen Farben schimmerte ihr Mezzosopran als sie vergeblich versuchte, Chorebus zur Flucht aus Troja zu bewegen und mit lodernder Leidenschaft wallte die Stimme in satten Rottönen beim Gang in den Tod auf. Als Königin von Karthago legte nach der Pause Anna Brull ein wahres Glanzstück hin: wirkte ihre Dido zunächst noch etwas blass in den tieferen Regionen der Stimme, drehte sie ab dem Duett im vierten Akt markant auf und steigerte sich schließlich zu packender Intensität. In lieblichen Farben und mit Zartheit in der vokalen Gestaltung interpretierte sie da zunächst die aufflammende Liebe Didos, um dann fein abgestuft all die Facetten von Enttäuschung über Verzweiflung bis hin zu wütendem Wahn ergreifend mit ihrer Stimme in den Abend zu malen.

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Mareike Jankowski (Cassandre)
© Werner Kmetitsch

Ordentlich gefordert ist bei Berlioz’ Werk der Chor, der für diese Vorstellungsserie um den Philharmonia Chor Wien aufgestockt wurde. Einstudiert von Johannes Köhler lieferten die Damen und Herren eine exzellente Leistung ab und glänzten ebenso durch ein homogenes Klangbild wie auch mit feinster Differenzierung und Akkuratesse. Um den Besetzungsaufwand einigermaßen überschaubar zu halten, waren in den kleineren viele Sänger im doppelten Einsatz – und sie alle erledigten ihre Aufgaben mehr als ordentlich. Wirklich hervorstechen konnte dabei einmal mehr an diesem Abend ein Mezzosopran, nämlich Opernstudiomitglied Neira Muhić, die als trojanische Königin Hekuba und als Didos Schwester Anna mit wunderbar samtig timbrierter, elegant geführter Stimme voll Farbenreichtum beeindruckte.

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Neira Muhic (Anna) und Anna Brull (Didon)
© Werner Kmetitsch

Und die Inszenierung? Die trug nichts zum Gelingen des Abends bei, denn was auch immer Tatjana Gürbacas Herangehensweise zu Berlioz’ Oper und Vergils Mythos war – sie erschloss sich zu keinem Zeitpunkt des Abends. Im Nebel der Regie verborgen blieben das Innenleben und der Antrieb der Figuren, denn neben vielen klischeehaften Operngesten wurde oft einfach nur herumgestanden, auch der Chor wurde von der Regisseurin dabei als undifferenzierte Masse eingesetzt, was angesichts der eigentlich im Übermaß vorhandenen Spielfreude des Grazer Opernchors unverständlich ist. Ebenso vergeblich suchte man nach einer Interpretation der Handlung, nach einem neuen oder spannenden Blickwinkel auf den altbekannten Mythos und seine Figuren. Stattdessen bekam man über drei Stunden lang das gleiche – ganz nebenbei bemerkt unansehnliche – Bühnenbild in karger Optik zu sehen, das an irgendwas zwischen Podest in einer Mehrzweckhalle und IKEA-Lagerraum erinnerte. Es muss ja nicht gleich Brad Pitt ohne T-Shirt sein, um Troja aufregend zu gestalten, aber ein bisschen mehr als hässliche Holzplatten braucht es schon!

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