Es herrscht wieder einmal Krieg in Europa. Dabei hatten ihn viele in hiesiger Zivilisation fast verdrängt. Doch machen sich autokratische, fanatische Nationalisten unsere westlichen Errungenschaften neuester Neuzeit nicht zu eigen. Vielmehr nutzen sie einen auch dadurch entstandenen Pazifismus der Demokratien aus, mit dem das Agieren kriegslüsterner Extremisten ausgeblendet sowie das Töten ermöglicht wird. Allerdings trägt der Wunsch nach Frieden alle zivilisatorisch denkenden Menschen. Und das natürlich erst recht bereits jene aus zurückliegenden Jahrhunderten. Darunter Gelehrte wie Erasmus von Rotterdam oder Komponisten, die die Realität und Begierde auf Änderung notgedrungen und munter beschrieben.

Dorothee Oberlinger mit der Akademie für Alte Musik Berlin © Michael Rathmann
Dorothee Oberlinger mit der Akademie für Alte Musik Berlin
© Michael Rathmann

Einen kleinen Auszug aus dem Instrumentalbarock stellten die Akademie für Alte Musik Berlin und Dorothee Oberlinger beim Festival Alte Musik Knechtsteden vor, bei dem die Blockflötistin und Dirigentin erste Residenzkünstlerin der Post-Max-Ära und das Orchester Debütant ist. Ganz Offensichtliches, wie Bibers Stimmungskanone Battalia à 10, wurde dabei umgangen, selbst wenn Schmelzers Fechtschule dann doch seinen obligatorischen Platz im Programm fand. Dieser verlieh das im hochbarocken Repertoire solistisch auftretende und unter Konzertmeister Georg Kallweit spielende Ensemble einerseits die gefühlvolle Eleganz der sportlichen Hiebkunst, andererseits natürlich die verdeutlichte Gefahr der feindlicheren Stoßgefechtswaffe, von der in abschließender „Bader-Arie“ müde Seufzer der Verarzteten zeugten. Biber verschaffte sich dagegen mit der Sonata X aus den Sonatae tam aris quam aulis servientes Gehör, in der Trompeterin Ute Hartwich mit brillant abgerundetem Ton dem höfischen Ablenkungs- wie erhofften Diplomatenzeremoniell Würde und Glanz einhauchte.

Mit Pogliettis Triosonate in C ergänzten Oberlinger an der Soprano und die Akamus mit abermals co-solistischer Hartwich sowie mit Fagottist Claudius Kamp die Kremsier-Connection eindrucksvoll. Storaces Ballo della Battaglia wiederum schloss zum damals beliebten Genre des Balletto strumentale und durchzogenem Affekt von bei Flóra Fábri am Cembalo doch etwas artikulatorisch zurückgenommener Attacke und dafür spürbarer Nachdenklichkeit sowie größerem agogischem Einfluss auf.

Die abendlich musikalische Kriegseröffnung erfolgte mit einer Mini-Suite zweier Händelopern. Zum einen Alcina, die Oberlinger ab November im Bonner Opernhaus dirigieren wird, zum anderen Rinaldo, beide auf Grundlage Tassos Kreuzzugsepos. Während sich Oberlinger abwechselnd an Soprano und Sopranino in der dreisätzigen Rinaldo-Sinfonia schiedlich mit Kallweit battelte und im Alcina-Entrée geschmeidige Friedenssehnsucht einkehrte, schwang Kamp das Tambourin im einstimmenden Kriegstanz für berüchtigte Rinaldo-Battaglia mit Trompete und die Pauke ersetzendem Beben der Bassbögen. Dabei präsentierten sich Blockflötistin und Ensemble in Phrasierung, Dynamik und Balance als vertraute, gleichsam von inspirierender Umsetzung befähigte Schicksalsgemeinschaft. Ihr folgten Auszüge aus dritter Tasso-Version Geminianis, The Enchanted Forest, die nun malerisches Geschütz, nein, barocker Arkadienort zwischenzeitlich erreichter Feuerpausen ist. Und dieser mit Oberlinger und Kamp wohlig voicefluterufend, verwundbar und final mit Trompete (allerdings ohne Hörner) zelebrierend wurde.

Loading image...
Dorothee Oberlinger mit der Akademie für Alte Musik Berlin
© Michael Rathmann

Für den expliziten Soloblockflötenteil griff Oberlinger auf Vivaldi zurück, der jedoch auch mit der durch Elan und Dynamik feurig gestalteten Streicher-Sinfonia der Armida kurz das Bedrohliche aufziehen ließ. Solches in das Habitat des mit Oberlingers interessanterweise früh-/hochbarocken Sopranino einprägsam zwitschernden Gardellino, der mit kehligen Zungen- und händischen Flügelfertigkeiten als neckische Sirene der heilen Welt über denen der ersten Geige triumphierte. Unheimliches, Anregendes und Friedliches hat auch die Notte an sich, die bei der Solistin mit aller Routine und doch stets frischer Faszination an bildlicher wie ponticelloartiger Farbigkeit an der Spätbarock-Alto aufkam; und die mit Rameaus „Entrée de Polymnie“ (Les Boréades) den Traum der Utopie ermöglichte.

Zwischendurch rezitierte der Schauspieler Michael Witte in erzürnt-mahnender Imitation den kein Blatt vor den Mund nehmenden Erasmus mit Auszügen dessen Klage des Friedens. Dem pazifistischen Gegenentwurf zur Idee des im Vergleich realistischeren Kriegsvölkerrechts als Mittel gegen das sonst durch Perversion abschreckungslose Recht des Stärkeren. Dem harschen Vorwurf an die damals weltlichen wie geistlichen „Unmenschen“ und ihrem „höllischen Wahnsinn“ stellte er den „Vernunfts“-Appell sowie die jeweiligen Folgen anheim. Auch heutige Diskussionspunkte kriegserzwungen ausgerufener Zeitenwende.

****1