Es sind nicht die Details, die in der Aufführung eines vermeintlich vertrauten Werkes hervorgekehrt werden, um vorzutäuschen, dass man es so zuvor noch nicht gehört hat – nein, eine gute Aufführung entsteht durch die Aufmerksamkeit, die zwar dem Einzelnen gilt, letztlich aber den gesamten Zusammenhang stiftet. So wie hier beim Konzert des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin unter der Leitung von Vladimir Jurowski.

Auf dem Podium für Haydns Trauersymphonie saß nur eine Handvoll Orchestermitglieder, die stehend musizierten. Nicht viel mehr spielten seinerzeit in der Hofkapelle von Schloss Esterházy. Schon bei der eröffnenden Unsisono-Devise des Allegro-con-brio-Satzes schenkte die Aufführung jeder Vortragsanweisung genaue Beachtung. Ohne Vibrato und darum schlank im Ton präsentierte man den ganzen Satz in hoher Konzentration. Wie sorgfältig die Aufführung durchdacht war, ließ sich z.B. daran bemerken, dass, allein in der Rückführung zur Reprise ein fortissimo gespielt wurde, so dass dies als Höhepunkt des gesamten Werkes hervortrat. Das Menuetto war mäßig geschwind, nahm aber durch den fast fahl gespielten strengen Kanon einen fast unheimlichen Charakter an. Das rasant vorgetragene Presto des Finalsatzes übertraf an Heftigkeit den Allegro-Kopfsatz. Auch hier wurde jede Nuance berücksichtigt. Es war ein Genuss, den verschlungenen Stimmführungen zu folgen, die den Doppelkanon des Seitenthemas ausmachen.
Nach der Pause führten Jurowski, das rsb und der von Krista Audere glänzend einstudierte Rundfunkchor Berlin Johannes Brahms' Ein deutsches Requiem auf. Vibratofrei, die wiederholten Töne vorsichtig voneinander getrennt gespielt, eröffneten die geteilten Violoncelli und Bratschen das Werk. Entrückt, aber glockenklar intoniert, erfüllte der Chor mit langgezogenen „Selig“-Akkorden den Saal. Der zweite Satz wurde als große Prozession musiziert, die sich aus der Ferne langsam, allmählich crescendierend näherte und dann prachtvoll ihr „Denn alles Fleisch, es ist wie Gras“ monumental vortrug. Der liebliche Gesang über den Ackermann bildete einen hellen Kontrast dazu. In der Fuge punktierte der Chor sehr plastisch das Thema und akzentuierte so den ekstatischen Jubel der „Erlöseten des Herrn“.
Zu den Höhepunkten der Darbietung gehörten die zuerst mahnenden, wie in Verkünderdiktion vorgetragenen Worte „Herr, lehre doch mich“ des Baritons Gerald Finley, die dann dem wehmütigen Ausdruck im „Ach wie gar nichts“ wichen. Jede Phrase war wie aus unmittelbarem Erleben heraus gestaltet. Der Chor antwortete fast im Sprechgesang.
Leicht und locker der vierte Satz, in dem Chor und Orchester zu einer Einheit verschmolzen. Die Sopranistin Siobhan Stagg, für Elsa Benoit eingesprungen, sang ihre „Arie mit Chor“, so hat Brahms sie selbst bezeichnet, berührend schön, auch weil es ihr gelang, in den Wortwiederholungen („Traurigkeit“ und „Wiedersehen“) jeweils eine andere Nuance zu treffen. In diesem Satz sind die Partien gegeneinander zu singen. Diese sehr eigene Art von Zwiesprache bewältigten der unübertreffliche Rundfunkchor und die fabelhafte Solistin meisterhaft und trugen dabei stets der Verständlichkeit des Textes Rechnung.
Im geheimnisvollen Tappen suchender Schritte in den Streichern begann der sechste Satz. Finley führte seinen Baritonpart in ungeahnte Höhen. Danach fühlte man sich in ein regelrechtes „Dies irae“ versetzt und erkämpfte sich die Zuversicht. Nicht allein „feierlich“ wie vorgeschrieben, sondern regelrecht in lichteste Transparenz „entrückt“ ließ die Aufführung das Requiem ausklingen.