Kaum ein monumentaleres Werk hätte sich Christian Thielemann aussuchen können, wäre sein Abschiedskonzert als Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle mit Jahren Vorlauf geplant gewesen. 118 Orchestermusiker*innen aus der Staatskapelle mit Unterstützung aus dem Gustav Mahler Jugendorchester und Sänger*innen aller Altersstufen aus drei Chören und sieben Solist*innen befinden sich auf der Bühne, als der langjährige Chefdirigent die Bühne der Semperoper zum vor-vor-letzten Mal – zumindest in dieser Funktion – betritt. Der erste Abend des drei Mal gespielten finalen Symphoniekonzertes der Saison ist der Auftakt zum Abschied des scheidenden Dirigenten, der am Ende dieses Konzertes zum Ehrendirigenten der Staatskapelle ernennt werden wird.

Die Symphonie Nr. 8 von Gustav Mahler steht auf dem Programm des Abends. Eine ungewöhnliche Wahl für Thielemann, der seine Karriere in Dresden mit Bruckner begann und dessen vierzehn Jahre an der Semperoper eher durch den Oberösterreicher, Strauss und Wagner geprägt waren. Von langer Hand war diese Programmansetzung geplant, bereits lange bevor feststand, dass der Vertrag des Chefdirigenten nicht verlängert werden würde. Das Ende einer Ära. Während Thielemann demnächst den Generalmusikdirektorenposten an der heimischen Staatsoper Unter den Linden übernimmt, wird Daniele Gatti zukünftig den verlautbarten angestrebten Neuanfang in Dresden einleiten. Doch wenn auch ungeplant, scheint es kaum ein Werk des symphonischen Repertoires zu geben, das rein aufgrund seiner schieren Ausmaße geeigneter für den Abschied aus der Semperoper sein könnte.
Mahler selbst sah die Achte Symphonie bis zu seinem Lebensende als sein größtes Werk an, gegen den ereignisvollen Beinamen „Symphonie der Tausend“ verwehrte er sich dennoch ein Leben lang. Auch Christian Thielemann setzt an diesem Abend weniger auf Ereignis denn filigraner Klangschichtung. Nach opulent-aufbrausendem Anfangschor „Veni, creator spiritus“ spinnt der Dirigent ein feines Netz zwischen Orchester- und Gesangsgruppen, das von Beginn an auf das Finale hinzustreben scheint. Klarheit und Brillanz nicht Pathos stehen dabei im Mittelpunkt. So erklingt das Fortissimo nicht als Selbstzweck, denn als ultimative Steigerung der musikalischen Bögen. Dabei verzichtet Thielemann an diesem Abend auf seine ansonsten geläufigen Generalpausen und Tempivariationen, sondern stellte das stetige Voranschreiten in das Zentrum seines Wirkens.
Leider spielt die Akustik der tiefen Bühne den Musiker*innen dabei manchmal einen Streich, zumindest für Hörende in den mittleren Parkettreihen. Während der Chor des Bayerischen Rundfunks und der Sächsische Staatsopernchor ebenso wie Bläsergruppe und Schlagwerk aus der Tiefe des Raumes klingen und in Momenten gar nahezu verklingen, wirken die Solist*innen und Streicher mitunter recht dominant. Die Platzierung des Kinderchores in den Rängen hingegen erweist sich als kluger Schachzug, um die Stimmen des Nachwuchses besonders herauszuheben.
Vom mittelalterlichen Pfingsthymnus zum faustischen Finale: Trotz der Akustikherausforderungen erweisen sich insbesondere die Gesangsolist*innen als Ereignis an sich. Für das Solistenoktett dieser Symphonie trafen langjährige Wegbegleiter*innen Thielemanns zusammen, darunter einige der versiertesten Stimmen der dramatischen Oper. Der Bariton Michael Volle läutet als Pater Ecstaticus mit ergreifend-tragender Deklamation in den zweiten Teil der Symphonie ein. Neben ihm glänzt David Butt Philip mit leuchtender, zugleich durchschlagender Tenorstimme bei rührender Phrasierung als Doctor Marianus. Die hellen Stimmen der beiden Sopranistinnen Ricarda Merbeth und Camilla Nylund fügen sich mit in tragenden, runden Klängen. Georg Zeppenfeld mit bekannt vollem Bass und artikulationsgewaltig, Regula Mühlemann, Christa Mayer und Štěpánka Pučálková komplettieren das sängerische Ensemble.
„Hier wird’s Ereignis - das Unbeschreibliche, hier ist‘s getan“ – mit diesen Worten endet Goethes Faust II, Mahlers Symphonie und damit auch die Amtszeit von Christian Thielemann als Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle. Ereignis war vieles, auf und abseits der Bühne. So ist auch allerhand Prominenz an diesem Abend zugegen, nicht zuletzt – und nicht zu jedermanns Freude – auch der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer, der Thielemann zum Abschied einen Dirigierstab aus Meißner Porzellan überreicht. Doch ganz zu Ende scheint die Geschichte des Berliners in Sachsen noch nicht zu sein. Vom Orchester wird Thielemann die Ehrendirigentenwürde überreicht mit dem Wunsch „Auf Wiedersehen“ und nicht „Adieu“ zu sagen. Fortsetzung folgt?!