Die Symphonien von Wolfgang Amadeus Mozart haben es in den großen Symphoniekonzerten zunehmend schwer. Denn wenn schon ein Werk von Mozart im ersten Teil eines Konzerts erklingen soll, dann ist es häufig doch lieber eins der Klavierkonzerte mit einem Solisten oder gerne eine der beliebten Ouvertüren. Die Symphonien des Komponisten werden zumeist von kleineren Orchestern, historischen Ensembles oder lediglich zu besonderen Anlässen, wie der Mozartwoche in Salzburg, aufs Programm gesetzt, meist dann direkt als Bündel der letzten drei Nr. 39, 40 und 41. So ist es dem österreichischen Dirigenten Franz Welser-Möst hoch anzurechnen, dass er die Prager-Symphonie Nr. 38 in D-Dur, KV 504 nicht nur vor Tschaikowskys Pathétique stellt, sondern diese sogar in das Zentrum seiner Europatournee rückt. Als dreisätziges Werk unter Verzicht auf ein Menuett gilt die Prager eher dramatisch orientiert und lässt dabei die Spannungen, aber auch das Lebensbejahende des kurz darauf komponierten Don Giovanni, vorausahnen.

Welser-Möst ließ in diesem Konzert eine durch-und-durch „klassische“ Interpretation, wie sie die Wiener Philharmoniker seit den 1950ern unzählige Male im Studio eingespielt haben, erklingen. Gerade weil viele jüngere Dirigenten immer neue Extreme in Mozart zu suchen scheinen, wirkte dieser Zugang so unglaublich originell. Welser-Mösts sauberes, schnörkelloses Musizieren eines Mozarts in einer für heutige Verhältnisse ungewohnt großen Streicherbesetzung ließ die Musik ganz aus sich und ihrer (Wiener) Tradition sprechen. Diese „no bullshit“-Attitüde des Dirigenten mit Fokus auf großer Klarheit und die Struktur des Werks verlieh diesem eine gewisse Authentizität und Größe.
In der Geschichte haben große Mozart- und Brucknerdirigenten, von denen man es nicht erwartet hätte, immer wieder bewiesen, dass auch sie ein Händchen für die Symphonien von Tschaikowsky haben, exemplarisch wären das etwa Otto Klemperer, Karl Böhm aber genauso auch Herbert von Karajan. Franz Welser-Möst, dem ja aufgrund seines Wirkens bei den Salzburger Festspielen immer wieder nachgesagt wird, eine Art Exklusivität im österreichischen Fach von Richard Strauss, Anton Bruckner oder eben Wolfgang Amadeus Mozart zu besitzen, dirigiert weitaus mehr russisches Repertoire, als man landläufig so vermutet. Erst im vergangenen Sommer gastierte er beim Lucerne Festival mit seinem US-amerikanischen Cleveland Orchestra und der Schicksals-Symphonie, Tschaikowskys Fünfter. Welser-Möst knüpfte in diesem Sommer nun mit einer ähnlich fulminanten Lesart der Pathétique interpretatorisch daran an: schlank, trocken und radikal kompromisslos!
Mit einer disziplinarischen Strenge erdete der Dirigent die überbordende Emotionalität der Partitur und ließ sich von den musikalischen Effekten nicht verführen. Während sich die heißblütig-brodelnden Wiener Philharmoniker kaum zurückhalten konnten, zügelte Welser-Möst am Pult das Feuer seines Orchesters und baute Takt-für-Takt eine stetige Anspannung und Intensität auf. Erst in den wuchtigen Schlusstakten des Marschmotivs im dritten Satz ließ der Dirigent die romantische Leidenschaft in einem Kulminationspunkt entladen – nur um attacca mit einem ausdrucksstarken, warmen Streicherklang in das Adagio lamentoso des Finalsatzes überzuleiten.
Während tags zuvor das Publikum des Lucerne Festivals bei dem Bruckner und Berg der Wiener Philharmoniker noch etwas zurückhaltend verharrte, traf Welser-Mösts Tschaikowsky mit einer lang ausharrenden Stille nach dem abklingenden h-Moll-Akkord der tiefen Streicher nun genau ins Herz und evozierte jubelnde Ovationen für Dirigenten und Orchester.