Jörg Widmann wird im Juni 50 Jahre alt, und er begeht dies im Fernsehportrait bei arte sowie mit erlesenen Konzertprogrammen, als Kammermusiker wie als Starklarinettist, mit eigenen wie wiederentdeckten Werken. Die Philharmoniker des Staatstheaters Nürnberg feierten zu Saisonbeginn bereits 100 Jahre Musizieren; und so trafen in der Nürnberger Meistersingerhalle zwei Jubilare in ausgesprochener Jubiläumslaune aufeinander; ließen in einer apart komponierten Werkfolge die musikalischen Einfälle ins Glas perlen, labte sich die angeregte Zuhörerschar am prickelnden Melodiefluss.

Jörg Widmann © Marco Borggreve
Jörg Widmann
© Marco Borggreve

Da standen in Nürnberg drei Persönlichkeiten auf dem Podium, homogen in einer Person verschmolzen: Komponist, Instrumentalist und Dirigent Jörg Widmann, der das Programm in seiner Begeisterung für das Schaffen Felix Mendelssohn Bartholdys ausgewählt hatte. Die Klarinettensonate Es-Dur des fünfzehnjährigen Felix stand am Anfang des Abends; unverständlich für Widmann, dass sie so selten aufgeführt wird. Ihr Andante, das er 2016 für Klarinette, Harfe, Celesta und Streicher bearbeitete, nannte Widmann in seiner Einführung „ein anrührend schlichtes Lied ohne Worte“; die Solostimme habe er aus „tiefer Demut vor Felix“ unangetastet gelassen. Die einleitende Melodielinie ertönte dann so schlicht und gesanglich, dass man unwillkürlich glaubte, sie – ohne Worte natürlich – schon einmal gehört zu haben; typisch für Mendelssohns frühes Werk. Das klein besetzte Orchester blieb zumeist klassisch, Tupfer wie von knisternder Zuckerwatte im Klang einer kindlichen Fantasie setzte die Celesta als Krönchen auf die weichen Harmonien.

Als Widmann 1993 die Fantasie für Klarinette solo komponierte, war er kaum älter als der junge Felix. Es reizte ihn, mit einem einstimmigen Instrument mehrstimmige Klänge zu erzeugen, Multiphonics, die wie Einsprengsel sich ins romantische Klangbild mischen; dazu allerlei Perkussives, Klappern mit Klappen, Rausch- und Schleiftöne, Jazz- und Klezmereinblendungen. Hier erwies er sich als sein bester Solist, der wie ein Hexenmeister den großen Koffer mit instrumentalem Zauberwerk öffnet, einen für unglaublich gehaltenen, wahren Teufelstriller-Tanz vor dem verblüfften Auditorium aufs Podium legte: in unüberhörbarem Spaß an den spieltechnisch unterschiedlichsten Extremparcours.

Loading image...
Jörg Widmann
© Marco Borggreve

2008 vom Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter Mariss Jansons in Auftrag gegeben, war das folgende Con brio in Nachbarschaft zur Siebten und Achten Symphonie als Hommage an Beethoven zu verstehen. Musikalische Zitate sucht man vergeblich, Widmann hat vielmehr dessen Geisteshaltung vertont. Anspielungen an dynamische Verläufen, melodische Wendungen gibt es zuhauf; daneben aufreizend Spieltechniken, die hörbar 20. Jahrhundert sind und insbesondere den Paukisten bis zum Äußersten forderten (effektvoll Christian Stier). Starker Beifall, in dem sich Staunen und Bewunderung mischten, wie effektvoll hier Widmann sämtliche Register zieht, um die Tradition mit der Moderne zu versöhnen und mit welchem inneren Feuer, con brio eben, die Philharmoniker die Werke umsetzten.

Mendelssohns Reformations-Symphonie ist der Entstehungszeit nach eigentlich seine Zweite, brachte ihm aber nicht den erhofften Durchbruch, den er sich 1830 von einer Aufführung bei Feierlichkeiten zur protestantischen „Confessio Augustana“ versprochen hatte; fast hätte er sie sogar verbrannt. Die ungewöhnliche Anlage, religiöse Motive und Choräle in den Ecksätzen der Sinfonie zu verarbeiten, hat wohl anfangs die übliche Verbreitung eines Orchesterwerks im Konzertsaal gebremst.

Wiederum zeigte sich Jörg Widmann als packender Gestaltungskünstler, der ganz ohne Taktstock dicht bei den Musikern blieb, impulsiv drängend und in weiten Körperschwüngen seine Klangvorstellung umsetzte. So entstanden Brillanz und Eindringlichkeit, aber auch kammermusikalisch-lyrisches, wie das von der Solo-Flöte „gesungene“ Recitativo zur Einstimmung des Choral-Finales. Dieses überraschte mit selten gehörten Farben und Konturen, pochendem Rhythmus und intensiven Innenspannungen, die gerade im Geflecht aus triumphaler Geste und barockem Fugenhandwerk mitreißend gestaltet wurden.

Viel Jubel am Ende über eine fulminante Orchesterleistung und einen aufregend vielseitigen Künstler, der durch die Orchesterreihen eilte und sich bei fast allen Musikern per Handschlag bedankte. Mit dem ihm überreichten Blumenstrauß überraschte er die Soloklarinettistin des philharmonischen Orchesters – so bleibt zu wünschen: Danke und Happy Birthday, lieber Jörg Widmann!

*****