Das diesjährige Internationale Brucknerfest Linz mit seiner einzigartigen Jubiläumsausgabe aller Brucknersymphonien im Originalklang wirft seine Schatten voraus, sind einige Orchester auf Darmsaiten, epochengetreuen Bläsern, tieferer Stimmung und allem, was dazu gehört, schon länger vor- und fortlaufend dabei, präsenter in das Feld der späteren Romantik vorzudringen. So auch Concerto Köln zum Beispiel im Kontext seines – nun mit Dresden verbundenen – Projekts „The Wagner Cycles“. Just das Programm, das es gemeinsam mit seinen beiden künstlerischen Köpfen dafür, Kent Nagano und Shunske Sato, in der oberösterreichischen Hauptstadt Anfang Oktober aufspielen wird, konnte man daher nun bereits bei der Re-Sound-Projektkooperation des Orchesters mit den Duisburger Philharmonikern hören.

Shunske Sato und Kent Nagano © André Symann
Shunske Sato und Kent Nagano
© André Symann

Dafür wählten die Verantwortlichen, vorbereitet durch Workshops, unter anderem mit Musikwissenschaftsexperte Clive Brown und Dirigent Jakob Lehmann, Bruckners Vierte, die „Romantische“, in der Urfassung von 1874 – somit selbst genau 150 Jahre alt –, die 1975 als letzte fehlende Erstversion der Brucknersymphonien ihre Premiere feierte und von Nagano schon als Chef des Bayerischen Staatsorchesters eingespielt worden war. Sie lässt begrifflich die Brücke zu Béla Kéler schlagen, der Schüler Bruckners Wiener Lehrers Simon Sechter war. Dessen Ouverture romantique von 1872 erkoren sie als passenden Einstieg in das romantisch durchbetitelte Programm aus, mit dem außerdem in Erinnerung gerufen wurde, dass man Bruckner mal fälschlich Kélers Mazzuchelli-Marsch zuschrieb und Brahms für seinen so berühmten Ungarischen Tanz Nr. 5 den Bartfeld-Csárdás seines Kollegen plagiierte.

Bei aller eingangs erwähnten Notwendigkeit einer äußeren Grundakademik der Aufführungspraxis, zu der noch die lobenswerte Wiener antiphone Aufstellung, konkret der Kammerton von 437 Hz, jedoch auch der orthodox betrachtet nicht ganz durchgezogene, ökonomisch verständliche Umstand erwähnt seien, dass für den französischen Programmteil bereits die Wiener Bläserbesonderheiten der Oboen, Flöten, Klarinetten sowie Ventilhörner und -posaunen verwendet wurden, kamen die Unterhaltung in den filigranen Notenwerten und vor allem die in den Spielweisen liegenden Umsetzungsdetails in jener Ouverture romantique nicht zu kurz. Solche der agogischen Verschiebungen, des deutlicheren Portamentos und sparsameren Vibratos.

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Kent Nagano dirigiert Concerto Köln und die Duisburger Philharmoniker
© André Symann

Sie prägten natürlich auch – freilich in stärkerer solistischer Variation und Ausprägung – Shunske Satos Ausdruck in Benjamin Godards Erstem Violinkonzert „Concerto romantique“ von 1876 das von ihm zu Beginn etwas an-, das Orchester folglich in der Begleitung mitgezogen werden musste. Da merkte man Satos Hintergrund als ehemaliger Konzertmeister Concerto Kölns, der zudem mit gewohnt starken Bogenkontrasten und größerem Dynamikradius sowie zupackender Energie, brütender, herzensschmachtender Sehnsucht, leichterer Ballabilität in der Canzonetta (Bratschensolo: Antje Sabinski), letztlich aufreibender, typisch stürmisch-pikanter, strahlender Finalfuriosität zu Werke ging. Dabei bewältigte er die Doppelgriffe, Flageoletts, sul-G- und hochsaitigen, schnellen Virtuosenpassagen bei minimalsten Intonationsfragezeichen und führte die Orchester mit Nagano und Konzertmeisterin Anna Dmitrieva auf bejubelten Erfolgspfad.

Zwangsläufig – neben dem gewünschten Raumeffekt der Aufstellung – lieferten die Instrumente und Spielarten in Bruckners Vierter den Eindruck breiterer Farbigkeit und generierten die Idee einer Dekonstruktion mit anschließender Konstruktion, die trotz mancher Gelassenheit Naganos bei Tempo und Dramatik oder dem Einbringen der mit härteren Schlägeln ausgestatteten Pauke, dennoch mit schwellenden Streichertremoli, schnittigen Trompeten und Posaunen sowie plastisch klaren Einsätzen als Quell zu erhabenen, monumentalen, aber nicht massigen Kulminationspunkten erwuchs. Ja, einer frisch suchenden, verwegeneren, bei allen Eingriffen Naganos nicht zu nivellierten oder auch sonst moderner geglätteten Bombastversion. Die Wiener Hörner meisterten in herausgearbeitet unterschiedlicher Artikulation und Notenlänge ihre Motivik erstaunlich gut, der zweite Satz offenbarte sich als reine, charmante Wohltat, dem aufgeräumten Scherzo entnahm man Bruckners Hadern mit der Titelvorgabe und Kopf- wie Schlusssatz ergaben als Naturwunder beziehungsweise sinfonisches Scharnier mit späterem Titel mehr Sinn. So können die Feierlichkeiten und zukünftigen Projekte kommen.

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