Zu jedem Konzert, in dem Joana Mallwitz ihr Konzerthausorchester Berlin dirigiert, hält sie die Einführung selbst. Diese beim Publikum beliebten Vorträge gehören einfach zum Abend dazu. Der Saal ist bereits mehr als halbvoll, später wird nahezu jeder Platz besetzt sein. Am Klavier sitzend erläutert sie mit großem Engagement und hilfreich für die Zuhörenden vor allem Strawinskys Ballettmusik Petruschka.

Joana Mallwitz und Igor Levit © Simon Pauly
Joana Mallwitz und Igor Levit
© Simon Pauly

Zu Beginn des Konzerts erklang Haydns Symphonie Nr. 83 g-Moll, „La poule”. Den Kopfsatz gestaltete Mallwitz aus dem Gegensatz von „erhaben“ und „komisch“, nahm das Hauptthema vehement und kantig, und ließ im Seitenthema weniger eine Henne gackern, als dass sie ihr Orchester über ein allzu großes Pathos spotten ließ. Auch im zweiten Satz blinzelte Haydns Humor hervor, wenn sie die endlosen Repetiernoten in ein großes Tutti umschlagen ließ, so dass in der großen Geste der komponierte Leerlauf nur umso deutlicher hörbar wurde. Die bewusst falsch gesetzten Auftakte ließen das Menuett hinken, und im Zentrum des Final-Satzes ließ Mallwitz das Hauptthema bewusst harmlos abschnurren. „Alle seine 108 Sinfonien sind Meisterwerke“, schwärmte sie kürzlich und versprach, künftig viel Haydn zu dirigieren. Darauf darf das Publikum gespannt sein, da dieser große Komponist nach Rattles Weggang aus Berlin in Symphoniekonzerten kaum noch gespielt wird.

Dann trat Igor Levit auf das Podium, um den Solopart von Bartóks Drittem Klavierkonzert zu spielen. Mallwitz und er waren sofort eins miteinander, was bei zwei großen Interpreten keine Selbstverständlichkeit ist. In seinem ersten Einsatz mischte er die Verbunkos-Melodik mit der eines Kinderliedes, ließ es mit hingetupften Tönen zart aufblühen, genoss die glitzernden Scherzando-Wendungen des Seitenthemas. Mallwitz koordinierte das Orchester nicht allein, sondern ließ einen zwar fließenden aber etwas gebremsten Rhythmus entstehen, während im Finale Orchester und Pianist von einem Taktwechsel zum nächsten jagten. Levit warf mit kerniger Härte die Akkorde so in die Tasten, dass die Funken förmlich sprühten. All diese Illusion kristalliner Heiterkeit legte sich im kargen Ernst des mittleren Adagio-Satzes. Getragene, gesangartige Melodien eröffneten den letzten Satz; mit zerbrechlicher Schönheit antwortete Levit mit Choralzeilen, sich schrittweise zu den tristanesken Akkordfolgen vortastend.

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Joana Mallwitz dirigiert das Konzerthausorchester Berlin
© Simon Pauly

Igor Strawinskys Petruschka erklang im durchsichtigen Spaltklang des Orchesters. Mallwitz ließ das Jahrmarktstreiben hell klingen, Trunkenbolde schmetterten den Ostergesang, Holzbläser ließen einen Leierkasten dazwischen dudeln. Das Orchester leuchtete die Partitur überscharf aus, ohne den Topf überkochen zu lassen. Viel Gewicht legte die Darbietung auf die Geschichte der drei Puppen. Gekonnt hielt Mallwitz die Balance aus Bildhaftem – man hörte die Ballerina die Tür zuschlagen – und der strengen Architektur. Hinreißend klang die Karikatur des Pas de deux, in der sie messerscharf die zwei Taktarten übereinander kopierte und das instrumentale Geschehen bis ins kleinste Detail kontrollierte. Im vierten Bild wurde die Darbietung em Sujet entsprechend mit Nervosität aufgeheizt; denn ab dem Tanz der Ammen wird es noch heftiger als im zweiten Bild. Mallwitz verstand es genau, an dieser Stelle die Partitur in Klangbilder umschlagen zu lassen, die kein Genrebild mehr zeichneten, sondern eine Bühnenhandlung zu Gehör brachten. Es klang so visuell-eindrücklich, dass echte Puppen gar nicht tanzen mussten. Am Ende schwebte der Geist Petruschkas über dem Orchester.

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