Hätte man zu Mozarts Zeiten schon Social Media gekannt, wäre Wolfgang Amadé da sicher mit drastischen, an seinen Bona-Nox-Kanon erinnernden Worten über unzulängliches Musizieren zu Felde gezogen. Vor 235 Jahren hat er sich den Frust in seinem Musikalischen Spaß, einer geistreichen Allegorie, von der Seele geschrieben. Im Streifzug zwischen parodistischen und geradezu subversiven Schöpfungen begannen die Geigerin Patricia Kopatchinskaja und die Camerata Salzburg beim Festspielkonzert im Mozarteum aber nicht mit der entferntesten, sondern der Klangwendung eines jüngeren Autors: John Cages vierteilige Living Room Music entstand 1940 und machte Schluss mit überkommenen Musikbegriffen, wo Kunst und Lebenswelt säuberlich getrennt sind. In motorischer, genau notierter Gegenrhythmik werden Geräusche „jedweden Hausrats oder Gebäudeteilen“ aus Alltagssituationen eingefangen, verdichten sich instrumental oder vokal zu einer provokativen, im kalkuliert Experimentellen neuen Musikästhetik.
So begann das Werk auch schon lange, bevor alle Zuhörer Platz genommen hatten – amüsiert, denn wann bekommt man schon eine Stargeigerin bügelnd oder telefonierend hinter den Orchestermitgliedern zu Gesicht? Und gar Staub saugend, am Dirigentenpult, das sie dann, wie gewohnt barfüßig, bezog – jeden Konflikt mit einem schmerzhaft störenden Steinchen am Boden vermeidend! Oder war John Cages Geräusch-kompositorische Show für Schlagzeug und Sprechquartett etwa schon am Laufen?
Was sich anfühlte wie ein Happening, geschah nach detailliert geplanter Notation: viel Arbeit für die Schlagzeuger und eine engagiert an Flaschenhals und Büglergriff trommelnd aktive Patricia Kopatchinskaja, die auf rotem Sofa auch pfeifend oder bei den vier Sprechrollen, aus aufgeschlagener Zeitung oder einem Gedicht von Gertrude Stein rezitierenden Stimmvirtuosen sich intensiv einbrachte. Wie vier tragende Säulen umgaben diese vier Werkteile To Begin, Story, Melody und End die weiteren Ereignisse.
Bruchstücke neu zusammensetzen und durch eigene Melodik künstlerisch verschmelzen: das suggeriert bereits Alfred Schnittkes Moz-Art à la Haydn im Titel. Sein Spiel für Musik, 1977 entstanden, beginnt in flirrendem Streicherweben zweier kleiner Orchester, die Fragmente der Klassiker zitieren. Aus Mozarts g-Moll-Symphonie und Haydns Schöpfung: fragmentarisch legt auch Schnittke seine Einwürfe an, wie Momentaufnahmen im Spiel eines maskierten Harlekins, das im Mozarteum durch Ab- und Zuschalten der reichlich hellen Deckenlüster noch im Kontrast verstärkend wirkte. Erschrecken und Lachen lagen für die Hörer dicht beisammen, und am Ende erleichtertes Schmunzeln beim Wegschlendern der Musiker: Abschiedssymphonie à la Schnittke!
Da passten auch Kopatchinskajas eigene musikalische „Schrullen“, Ghiribizzi genannt, gut ins Klangbild; kleine rebellische Aphorismen für Violine und Klarinette oder Violoncello im Spiel mit befreundeten Musizierenden.
Nicht so sehr karikierend wie erstaunlich: Felix Mendelssohns Violinkonzert d-Moll, das verblüffende Werk eines Dreizehnjährigen, gelehriger Schüler von Carl Friedrich Zelter. Kraftvoll der Beginn, melodiös die Themenbehandlung und Durchführung; Kopatchinskaja feuerte mit kräftigen Arm- und Körperschwüngen die Camerata an, gestaltete ihre Violinpartie mit virtuosem Vergnügen, würzte die Kadenzen mit ungewohnt gegenwärtigen, teils chromatischen Einleitungen. Nach all dem Fragmentarischen, Kopfkino-karikierenden Klängen einfach melodiös aufblühendes Strahlen, vermischt mit Verwunderung, wie so oft bei Felix (und Fanny!).
Mozarts Musikalischen Spaß machte sich dann die Konzertmeisterin der Camerata, Candida Thompson, zu eigen, und sie fegte damit auch den etwas despektierlichen Titel „Dorfmusikantensextett“ vom Podium, wenn sie in Mozarts kunstvoller Partitur als Solistin mit schwierigen Lagenwechseln imponierte oder die beiden Hornisten (souverän Johannes Hinterholzer, Michael Reifer) in virtuoser Stopftechnik bei ihren verrutschenden Hornsignalen brillierten.
Was bei Cage noch klingender Hausrat war, legte György Ligeti in seiner Anti-Oper Le Grand Macabre als eher böse-ironische Farce an über einen Potentaten, der den Weltuntergang erwartet. Bereits in der Ouvertüre wurden zwölf Autohupen von drei Spielern (mit Händen und Füßen) bedient, die sechs Türklingeln gingen im grellen Klangblitzen unter. Neben den Schlagzeugern warf sich da Patricia Kopatchinskaja ins groteske Blechgewitter, und ebenso energiegeladen gestaltete sie die Mysteries of the Macabre, die 1991 für Solo und Kammerorchester ausgekoppelt wurden. Silbenzischen, Wortfetzen wie „Klimawandel“ oder „Kodename Karajan“, Koloraturschreie, Opernattitüde: kein Halten mehr für Kopatchinskaja, die sich teufelsgeigend und tanzwütig als burlesk umherwirbelnder Derwisch in die Fantasiewelt zwischen Hieronymus Bosch und György Ligeti katapultierte.
„Psst? That’s all! Rrsh!“ Da hatten auch die exquisiten Instrumentalsolisten der Camerata Salzburg hörbar ebenso viel Spaß am schrillen Theater wie das Publikum: „Not a squeak! Silence is golden!“