Don Carlo – das ist große Oper, bei der das Opernpublikum vollmundigen Genuss erwartet, vergleichbar etwa mit einem Glas vom besten Rotwein. Regisseur Kirill Serebrennikov serviert an der Wiener Staatsoper stattdessen kalten Kräutertee, denn seine Inszenierung spielt in der nüchternen Atmosphäre eines Instituts für Kostümgeschichte, das die Prunkkleider der historischen Protagonisten des Stücks ausstellt.
Nicole Car (Elisabetta) und Joshua Guerrero (Don Carlo)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn
Dementsprechend wird das hochadlige Personal der Geschichte zu Institutsangestellten in Labor-Kitteln degradiert, und das große Tauziehen um Liebe und Politik zur profanen Bürointrige. Dass die Aufständischen Klimademonstranten sind, passt in dieses Konzept, das zwar durchdacht, für die Spannungen auf Leben und Tod in diesem Stück aber viel zu harmlos ist: Die Opfer der Inquisition drehen sich wohl angesichts der Autodafé-Szene im zweiten Akt (Chorgesang zu einem Dokumentarfilm über Missstände in der Textilwirtschaft) im Grab um – wenn sie nicht schon Asche und Staub sind, so wie sich im Finale Wams und Hose von Karl V. trotz aller Sorgfalt der Kostümwissenschaftler auflösen.
Elīna Garanča (Eboli)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn
Optische Glanzpunkte in der sterilen und kühl ausgeleuchteten Atmosphäre bieten lediglich die historischen Kostüme von Don Carlo, Filippo, Elisabetta und Eboli, die Komparsen zunächst an- und ab dem dritten Akt wieder ausgezogen werden – ein handwerklich aufwändiger Vorgang, der durch Video-Detailaufnahmen effektvoll in Szene gesetzt wird. Die Verdopplung der Figuren entfaltet allerdings erst im zweiten Teil des Abends ihre volle Wirkung, während die ersten beiden Akte vor emotionaler Kälte starren, auch wenn auf der Bühne einiges los ist.
Roberto Tagliavini (Philipp II)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn
Das beste Beispiel für diesen merkwürdig zweigeteilten Abend ist Elīna Garančas Eboli, die im ersten Akt wenig Lust auf einen Tag im Labor zu haben scheint, und umständlich ihren Kittel aus dem Spind holt. Das mag mit der Personenregie zu tun haben, ist aber auch ein Sinnbild für die Fadesse, die die ersten beiden Akte durchzieht. Das Schleierlied, das sie für die Institutsausstellung „Magie des Schleiers“ zu singen hat, war dementsprechend eine gewohnt elegante Angelegenheit (wie praktisch immer, wenn diese Ausnahmekünstlerin am Werk ist). Allerdings reizte sie ihre Möglichkeiten nicht aus und setzte vokale Tupfer in Pastell, wo man eine südlich-leuchtende Farbpalette erwartet – das wäre zumindest ein schöner Kontrast zur klinisch weiß bis und hellgrauen Inszenierung gewesen. Erfüllt wurden alle Erwartungen dann mit „O don fatale“, in der sie das historische Kostüm ihrer Spiegelbild-Komparsin demontiert – eine treffende Umsetzung für Ebolis Verzweiflung an ihren eigenen Taten.
Joshua Guerrero (Don Carlo) und Étienne Dupuis (Rodrigo, Marquis von Posa)
© Frol Podlesnyi
In jeder Hinsicht gelungen war auch „Ella giammai m’amò“, gesungen von Roberto Tagliavini, mit der man auf die überraschend mitreißende zweite Hälfte des Abends eingestimmt wurde. Mit seiner noblen Stimmführung bleibt Tagliavini trotz Aktentasche immer König Filippo – ein Tyrann, der nur in der erwähnten Arie emotional wird: Ein Seelenstriptease, welcher bei Serebrennikov in der Entkleidung des Filippo-Komparsen eine Entsprechung findet.
Während sich letzterer aber sofort in einen Bademantel kuscheln darf, muss der unmittelbar darauf entblößte Don Carlo-Komparse einige Zeit nackt auf der Bühne verharren, während Vater Filippo und der Großinquisitor sein Schicksal besprechen. Auch das sind gelungene visuelle Metaphern – in letzterem Fall für Carlos Bedeutungslosigkeit im politischen Spiel, und die brutale Gleichgültigkeit gegenüber Einzelschicksalen. Als Großinquisitor gefiel Vitalij Kowaljow, dessen Stimme so sicher strömte, wie sich die historischen Inquisitoren im Besitze der alleinigen Wahrheit wähnten. Ein Bravo also für die Szene mit Filippo, die zu einem veritablen Gipfeltreffen der Bässe geriet.
Elīna Garanča (Eboli)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn
Im Vergleich mit diesen beiden Herren ist Carlo eine undankbare Partie, die schwierig zu singen ist und doch wenig Effekt macht (darüber, wie unangenehm vor allem der erste Auftritt zu singen ist, hat sich kein Geringerer als Jonas Kaufmann geäußert). Mit Joshua Guerrero hat man immerhin einen fähigen Tenor gefunden, der sich gegenüber der Premieren-Serie deutlich steigern konnte, auch wenn das Forte manchmal zu viel des Guten war. Er gab jedenfalls alles und berührte besonders im Abschiedsduett mit Elisabetta, bei dem Stimmen und Emotionen das karge Setting vergessen ließen.
Nicole Car (Elisabetta)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn
An Nicole Car werden immer hohe Erwartungen gestellt, und sie enttäuschte sie auch als Elisabetta nicht, obwohl zwischen den leisen Stellen und den Ausbrüchen in „Tu che le vanità“ fast schon zu viel dynamisches Gefälle war – das ist aber Geschmackssache, und ein Genuss war es allemal. Auch sonst erlaubte sie sich keine Schwächen.
Etienne Dupuis hatte einen guten Abend und lieferte als Rodrigo die beste gesangliche Leistung, die ich je von ihm gehört habe. Oft eine Nebenfigur, deren Hauptaufgabe das berühmte Duett mit Don Carlo ist, war dieser Rodrigo als Aktivist angelegt, der mit dem Mut und dem Mutterwitz eines Hofnarren Eindruck machte. Die kleineren Partien waren ebenso sorgfältig besetzt, wie der Chor seine Aufgaben erledigte.
Nicole Car (Elisabetta)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn
Zweigeteilt war der Abend nicht nur in Bezug auf den Unterhaltungswert der Inszenierung, sondern auch hinsichtlich der Orchesterleistung unter der Leitung von Philippe Jordan. Waren die ersten beiden Akte noch von etlichen Schlampereien durchsetzt, kehrte nach der Pause auf wundersame Weise Disziplin ein, und man war froh, die teils herausragenden Gesangsleistungen im dritten und vierten Akt zumindest kompetent (aber auch nicht mehr als das) begleitet zu hören.
***11
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