Es war vor 400 Jahren, als Heinrich Schütz nicht nur seine Stelle als Hofkapellmeister in Dresden antrat, sondern zugleich den Bund der Ehe mit Magdalena einging. Auf den Trauungstag, den 1. Juni 1619, ist seine Veröffentlichung der Psalmen Davids datiert, der Sammlung von sechsundzwanzig mehrchörigen Werken bestehend aus geistlichen Konzerten, Canzonae und Hymnen nach dem Vorbild Giovanni Gabrielis. Diese nahmen der Dresdner Kammerchor samt Dresdner Barockorchester mit Gründer Hans-Christoph Rademann vor sieben Jahren im Rahmen der Schütz-Gesamteinspielung beim Carus-Verlag auf, die nun – das Projekt gleicht ebenfalls einer Hochzeit – abgeschlossen wurde. Anlässlich dieser Umstände feiert man in der Philharmonie Essen nochmals mit dem bedeutenden Kompendium Schütz' herausragenden musikalischen Schatz.

Hans-Christoph Rademann
© Martin Foerster

Rademann wählte dabei zwölf Stücke und Herr unser Herrscher, SWV 449 aus, um den charakteristischen Spiegel an stimmlicher Varianz von Favoritchor bzw. -chören und Capellchor bzw. -chören zu den farblichen Effekten der unterschiedlichen Instrumente in ein heutiges Abendprogramm zu schmieden. Wiederum auf eine Auswahl an Höhepunkten bezieht sich meinerseits die Besprechung, um Gehörtes in die Sprache zu fassen, die einem Schütz mit seiner Kompositionskraft und der damit übertragenden Faszination aus Schönheit und Zuversicht beinahe verschlägt. Denn laut Rademanns passendem Résumé übernimmt diese Musik in Verschmelzung mit damaliger Malerei die Aufgabe, das Unsagbare auszudrücken. Sie fällt beim Verständnis des Dirigenten jedoch keinem überaus wuchtigen, wirklich italienisch-theatralischen, knalligen Ansatz mit dynamischen und harmonischen Ausreizungen anheim, sondern ist einem eher doch bescheideneren, protestantischen Gepräge von leichter Zurückhaltung im tönenden Funkeln dieser Musik unterstellt. Das machte sich einerseits bei den dramatischen Versstellen des Heulens und Zerschmetterns, andererseits bei den lieblich-milden Strömungen der Freude oder den Wiederholungschören zwecks Verstärkungen der Botschaft bemerkbar.

Dresdner Kammerchor
© Stephan Floss

Die Ensembles verzückten in jeglich wechselnder Besetzung und Aufstellung mit der eloquenten Phrasierung, klaren Textbeherrschung und dem warmen Gefühl der Aufgehobenheit in der tröstlichen Zuversicht Gottes Güte. Wie zu Der Herr sprach zu meinem Herren oder An den Wassern zu Babel rief jeder gesangliche Aufgang in die Höhe Gänsehaut hervor, wenn besonders mit dem hervorragenden Diskant, Sopran und colla parte-Zinken, die umwerfende Pracht in die innersten Bahnen drang. Die schützende Hand Gottes auf der im Vierertakt symbolisierten Welt oder die dreitaktig geschwungenere Auffahrt ins Reich des Herrn verfehlte ihr Ankommen im Geist des Zuhörers ebensowenig, als die Bässe oder der Dulzian oder die Alt-, Tenor- und Basssackbuts für die prägnante, beeindruckende Tiefenwirkung dieses Gedankens sorgten. Am eindrücklichsten gestaltete Rademann in der ersten Hälfte die Vertonungen Wie lieblich sind deine Wohnungen (später anhimmelnd von Brahms aufgegriffen) und Die mit Tränen säen, die in Betonung und Ausdruck in eindringlichster Manier neben einem spannenden Gespräch auch in der Gegenüberstellung von langem und kurzem Psalm sowie der Besetzung von vollen Chören und intimeren zwei Favoriten à 2 mit geteilten Instrumentengruppenzuweisungen die ganze kontrastreiche Abwechslung erzählten.

Im zweiten Teil brachten sich die Solisten, insbesondere der erste Favorit von Dorothee Mields, David Erler, Tobias Hunger und Felix Schwandtke, immer exponierter in die musikalische Vorbetung ein, indem sie freudige Bewegung und sanfte Barmherzigkeit besonders gekonnt übermittelten. Als kunstvoll-prickelnd erfuhr ich ihre gesangliche Predigt der Hilfe und der traumhaften Hoffnung in Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen. Ließen Mields, Isabel Schicketanz, Hunger und Tobias Mäthger das Bild der „grünen Aue“ und des „frischen Wassers“ zu Der Herr ist mein Hirt natürlich zauberhaft erscheinen, leuchteten die herausgehobenen Sänger, zu denen noch Stefan Kunath, Martin Schicketanz und Alexander Bischoff gehörten, genauso lautmalerisch vorstellend und stärkend die Schöpferkraft Gottes in der letzten Lobeshymne aus. Der Dresdner Kammerchor als Capellchor zum starken (Posaunen-)Getön des Tutti der Instrumente des Dresdner Barockorchesters (nebst erwähnten Bläsern Orgel, Theorbe, Chitarrone, Violone, Gamben und Violinen) stieg darin so sehr ein, dass Rademanns Erkenntnis, Schütz als „Glücksfall der Musikgeschichte“ zu verstehen, allzu deutlich wurde.

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