Dreiecksverhältnisse gehören zu den immer wieder im Theater behandelten Themen. Eine Frau zwischen zwei Männern: an der Bayerischen Staatsoper liefen in den letzten Monaten bereits zwei Neuinszenierungen dieser Beziehungskatastrophen über die Bühne, Tschaikowskys Eugen Onegin ebenso wie Debussys Pélleas et Mélisande. Mit Leoš Janáčeks Káťa Kabanová kommt nun eine weitere Variante dieser Liebesgeschichten hinzu.

Corinne Winters (Káťa Kabanová) © Geoffroy Schied
Corinne Winters (Káťa Kabanová)
© Geoffroy Schied

Janáček lernte Russland auf zwei Reisen kennen; er beschloss, die Tragödie von Schuld, Selbstanklage und Sühne im Schauspiel Gewitter des russischen Dramatikers Alexander Ostrowski mit Musik und Libretto auf die Bühne zu bringen: es werde „die allerzarteste meiner Arbeiten sein“. Janáčeks sechste Oper zeigt erneut, wie eine junge Frau an der Unerbittlichkeit einer Provinzgesellschaft leidet: „Ein leichter Wind würde sie hinwegwehen, ganz zu schweigen von dem Sturm, der über sie hereinbricht.“ Ähnlich wie schon drei Opern zuvor in Jenůfa, die heimlich ein Kind hat, das es nicht geben und das nicht leben darf.

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Pavel Černoch(Boris) und Corinne Winters (Káťa Kabanová)
© Geoffroy Schied

In der Provinz, nahe der Wolga, lebt die junge, tief empfindende Káťa, die mit dem schwächlichen, ganz von seiner Mutter Kabanicha und ihren Standesvorurteilen beherrschten Tichon verheiratet ist. Liebe erlebt sie mit dem an Gefühlskraft ähnlichen Boris. Einzig Varvara, Tichons Schwester, hält zu ihr, steckt ihr den Schlüssel zum Ort eines geheimen Stelldicheins zu. Ein heraufziehendes Gewitter verstärkt Káťas Gewissensbisse so weit, dass sie vor der Dorfgemeinschaft ihre Schuld gesteht und den Tod im Fluss sucht.

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Corinne Winters (Káťa Kabanová)
© Geoffroy Schied

Soziale Probleme und Vorurteile der russischen Landbewohner überträgt der Regisseur Krzysztof Warlikowski in eine heutige Umgebung, was freilich kein neuer Ansatz ist. Anstelle der Enge der bäuerlichen Verflechtungen in Ostrowskys Roman zeigt das Bühnenbild von Małgorzata Szczęśniak einen weitläufigen Tanzsaal, in dem sich schon vor Beginn des Werks Paare zu leiser Tangomusik drehen, ein Fantasiebild von später vermisster Harmonie. Reklame und Vitrinenlicht flackern, Snacks werden an kleinen Bistrotischen serviert. Leben findet im eifrigen Herumtragen von Mobilar statt. Nur für die intimere Abschiedsszene der Káťa und des auf Geschäftsreise scheidenden Tichon wird von hinten ein Container-artiger Raum hervorgefahren, der im Stil der Mutter aus den Siebziger Jahren flimmerndes Trash-Fernsehen, rotes Plüschsofa und Retrotapete mit geometrischem Grafikmuster zeigt und wo Káťa fast zur kindlichen Lulu wird. Da findet Warlikowski einen Teil Wahnsinn in ihr, den Hang zum Suizid gar.

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Violeta Urmana (Kabanicha ) und Milan Siljanov (Dikoj)
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Statt der Enge des 18. Jahrhunderts beschreibt Warlikowski die leere Weite, die bei boshaften Scheinheiligkeiten Beziehungsfäden abreißen lässt. Káťa bleibt dort eine Fremde, lebt in ihrer eigenen, parallelen Welt. Dass sie sich anfänglich lange in einen Videoclip hineinspielt, hilft ihrer Beziehung zu Tichon nicht auf die Beine. Kamil Polaks Videotechnik ist beeindruckend, provoziert Szenen großer Betroffenheit, erst recht wenn das Mienenspiel der Figuren dadurch dicht an die Zuschauer heranrückt und man mit den Augen der unaufhörlich Videosequenzen ausgesetzten Generation schaut. Doch wenn Janáčeks Fokus reduziert wird und einer weitläufigen Fülle von Bildern weicht, wird auch die Botschaft des Stücks unscharf. Am Ende füllt die Videoprojektion die Bühne, fast erdrückend, eher Selbstzweck an Stelle von Unterstreichung des seelischen Bankrotts. Zwischen Schaufensterpuppen kleidet Káťa sich um, während „draußen“ das Dorf zusammengekommen ist und über ihren Fehltritt urteilen will. Selbst wenn Tichon die Sache eigentlich unter dem Radar halten möchte, fordert die Kabanicha zorngeladen Konsequenzen.

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Corinne Winters (Káťa Kabanová)
© Geoffroy Schied

Die Musik des von Káťas Leid hörbar tief berührten Janáček fand im Bayerischen Staatsorchester unter der intensiven Leitung von Marc Albrecht eine hinreißende, oftmals überwältigende Schönheit und Ausdruckskraft. Albrecht animierte die Musiker zu orchestral-hymnischer Geste, ohne dabei die rhythmischen Finessen der Partitur zu vernachlässigen. Janáčeks aufbrausende Vehemenz im Glühen und Beben werden an den folgenden Abenden noch geschärft werden können. Zupackend und klangüppig agierte auch der von Franz Obermair einstudierte Staatsopernchor.

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Corinne Winters (Káťa Kabanová), Violeta Urmana (Kabanicha) und John Daszak (Tichon)
© Geoffroy Schied

Erlebenswert ist der Abend insbesondere durch Corinne Winters' intensiver Gestaltung der Káťa. Es war phänomenal, wie Winters, die bereits an mehreren Häusern die Figur verkörpert hat, sich hier in einer neuen Sichtweise in den Thriller einbrachte, auch figürlich die Assoziation einer Lulu wecken konnte. Ihr Sopran bestach durch seine warm ausstrahlende Mezzo-Lage in den leisen Liebesszenen im ersten und zweiten Akt. Zugleich vermochte sie ansatzlos umzuschalten und in dramatischer Höhe energiereich innere Zweifel bewegen. Am Schluss faszinierte sie, endgültig zerrissen, in verzweifeltem Stimmausdruck.

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Káťa Kabanová
© Geoffroy Schied

Die Mezzo-Partie der bedrohlichen Kabanicha sang Violeta Urmana, klar fordernd und kalt schneidend, bedrohlich und grob. Eine fiese Rolle, die sie überzeugend prägte. Die Sänger schlugen sich weitgehend vorbildlich: Pavel Černoch brillierte stimmlich wie spielerisch als Boris, ein Außenseiter in der Gesellschaft. John Daszak war rundum ein überzeugender Tichon, dem man die mütterliche Unterwerfung bereits ansah. James Ley profilierte sich als Kudrjáš, der im Club auch als Schlagersänger einheizt. In dramatischen Sopranspitzen mit schrillem Outfit beeindruckte Emily Sierra als Varvara.

Das Premierenpublikum zeigte sich beeindruckt, spendete insbesondere frenetischen Applaus für Corinne Winters. Freundlicher Beifall mit wenigen Buhs auch für Warlikowski und sein Regieteam, das dem pausenlosen Krimi in Tatortlänge Gegenwarts-Feeling verpasst hatte.

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