Im Sommer hatte Kent Nagano mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin Mahlers Sechste Symphonie aufgeführt. Ein gutes halbes Jahr später glänzte er mit Mahlers Siebenter, die manche zwar als Fortsetzung der „Tragischen“ hören, die aber doch ganz anders ist.

Kent Nagano dirigiert das Deutsches Symphonie-Orchester Berlin © Fabian Schellhorn
Kent Nagano dirigiert das Deutsches Symphonie-Orchester Berlin
© Fabian Schellhorn

Der Anfang des Konzerts gehörte allerdings nicht dem Riesenorchester, sondern fünf Sängerinnen, die, von Justus Barleben einstudiert, von den obersten Sonderplätzen aus a cappella das Responsorium „O vis aeternitatis“ Hildegard von Bingens sangen. Zu hören waren helle Einzelstimmen, eine Altstimme war nicht vorgesehen, die einander nur manchmal gegenseitig ergänzten, sonst einzeln und in klarer Diktion diese über 800 Jahre alte, von der Komponistin selbst als „Symphonie der Harmonie himmlischer Offenbarung“ bezeichnete Vokalmusik vortrugen, und die Herzen des Publikum erweichten.

Ohne Zäsur setzte der scharf intonierte punktierte Rhythmus ein, der Mahlers Siebente Symphonie eröffnet. Prachtvoll entfaltete sich das von Nico Schippers auf dem Tenorhorn vorgetragene gewaltige Thema dieser Introduktion. Doch übertönte das Orchester bald in grellen Fanfaren den Glanz und peitschten die Symphonie schließlich in die herbe Realität des Geschwindmarsches. Mit roher Wucht schmetterten die Hörner das spröde Hauptthema, dessen Varianten schneidig im hohen Tempo auf die Spitze getrieben wurden. Im geradezu exaltiert genommenen Seitenthema wirkten die vielen Ritardandi so, als wären sie aus dem Augenblick heraus musiziert und nicht sorgsam einstudiert worden. In der Durchführung, wo derartige Exzesse eigentlich zu erwarten gewesen wären, öffneten Dirigent und Orchester die Pforten und ließen, von Fanfaren angekündigt, mit traumwandlerischer Sicherheit die beiden Themen zu einer Gestalt zusammenwachsen. Nun kam im vollen Orchester jene Harmonie zu Gehör, die Hildegard von Bingen in fünf Frauenstimmen zu besingen wusste! Doch derlei Träume waren nur von kurzer Dauer und die Aufführung musste die Zuhörer wieder an den Anfang zurückwerfen. Sehr überzeugend gelang die Reprise. Wenn das Hauptthema sich, nach seiner Wiederholung, endlich nach E-Dur durchgekämpft hatte, akzentuierte Nagano zu der Hauptstimme den chromatisch fallenden Bass so heraus, dass mit ihm auch gleich die Vergeblichkeit dieser Anstrengung hervorgekehrt wurde. Das Seitenthema ließ er dagegen wie als Erinnerung an den Traum aus der Durchführung ertönen.

Erst in den Binnnensätzen hat Mahler selbst mit den Bezeichnungen „Nachtmusik“ bzw. „schattenhaft“ eine Nähe zum Unheimlichen ausgedrückt. So entfachte das Orchester zu Beginn des zweiten Satzes einen regelrechten Spuk und führte dann stilsicher das Trio in den eleganten Salon. Das Scherzo wurde vor allem im Walzer regelrecht grotesk musiziert, wenn die Glissandi den aristokratischen Dreivierteltakt in den Abgrund zogen. Im Zentrum des Satzes ließ Solo-Oboistin Viola Wilmsen ein einziges Mal ihr rührendes Thema erklingen, das am Ende des Satzes unerbittlich vom Orchester ins Ordinäre versetzt – gewollt! – verschandelt wurde. Im vierten Satz kam, in all seiner Zerbrechlichkeit, das Ständchen aus Grinzing zu Gehör.

Das Finale wurde als „Festwiese“ im Pomposo-Stil in großer Lautstärke vorgetragen: Nagano und das glänzend disponierte Orchester ließen im straffen Tempo die Symphonie sich aller Erdenschwere entledigen. Filmschnitte ersetzen komplizierte Modulationen und die mitunter abrupten Tempowechsel wurden bravourös gemeistert. Welch’ großer Stratege Nagano ist, zeigte sich nicht zuletzt daran, dass er es vermochte, die allerletzte Kraft bis zum Ende aufzusparen, so dass das am Schluss endlich nach C-Dur aufgelichtete Hauptthema des ersten Satzes wirklich den Höhepunkt des Finales bildete.

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