Die Reihe „Konzerte für Hamburg” in der Elbphilharmonie richtet sich an Besucher, die nicht so oft in klassische Konzerte gehen. Sie bietet günstigere Eintrittspreise und eine Spieldauer von maximal 60 Minuten, ohne Pause – nicht gespart wird jedoch am Programm. An diesem Abend spielte das NDR Elbphilharmonie Orchester zusammen mit dem schwedischen Solo-Klarinettisten Martin Fröst, der die Konzertlandschaft des letzten Jahrzehnts bestimmt hat wie nur wenig andere Solisten. Mit Aaron Coplands Klarinettenkonzert wurde ein Komponist ausgewählt, der nicht so häufig gespielt wird.
Mit dem Klarinettenkonzert begann der Abend auch. Und gleich nach den ersten Tönen geschah etwas mit dem ich nicht gerechnet hatte. Martin Fröst spielte diese leisen aber bestimmten Töne des Werkes so bewusst geformt an, dass sie über seinem Kopf hoch in den hohen Konzertsaal der Elbphilharmonie stiegen, sich ausbreiteten und dort mit einer beeindruckenden Räumlichkeit standen. Staunend erlebte das Publikum wie geschickt Fröst die Akustik für sich nutzte. Ab dem ersten Ton war er voll konzentriert auf den Vortrag und setzte dafür intensiv seine berühmte Körpersprache ein. Er bog und bäumte seinen Oberkörper unter anschwellenden Tönen auf, stellt sich auf die Vorderfüße und vollzog beim spielen langsame Flügelschläge mit den Ellenbogen. Zu Beginn des Werkes suchte er auch aktiv den Kontakt zum Orchester, drehte sich zu mehreren Instrumentengruppen. Jedoch schien das eher einer Grundversicherung zu dienen, da er sich im Verlauf des Spielens wieder mehr seinem eigenen Kosmos zuwandte. Das Orchester unterstützte Fröst beharrlich. Mit Gefühl und Zurückhaltung betonten die Musiker die angenehm anmutende Harmonieauswahl in diesem Konzert. Wenngleich ich auch schon erlebt habe, dass ein Orchester trotz der Begleitrolle eigene Charakterzüge in den Vortrag einbringen konnte, was hier etwas fehlte
Den langen Soloteil gestaltete Fröst wie erwartet sehr unterhaltsam und extrovertiert. Er wandte sich direkt dem Publikum zu, drehte sich fast fordernd zu bestimmten Teilen im Auditorium. So entstand eine Verbindung zum Solisten, die dem Erleben des schnelleren zweiten Satzes entgegenkam. Hier spielte auch das Orchester mit mehr Witz und Bewegungsfreudigkeit. Die vielen Frage-Antwort-Teile zwischen verschiedenen Instrumentengruppen gestalteten die Musiker bewusst und schön aus. Auch die Wechselspiele zwischen Klavier und Solist waren eindrücklich und klar vorgetragen. Auch wenn das Klavier auf Grund seiner Position auf der Bühne wohl zwangsläufig etwas entrückt im Gesamten wirken musste.
Thomas Hengelbrock war vor allem im zweiten Satz für ein Solokonzert überraschend aktiv am Dirigentenpult. Nicht im Übermaß, aber ihm lag offenbar viel daran vom Orchester an bestimmten Stellen den Ausdruck zu bekommen den er sich vorstellte, und er legte viel Wert auf die Präzision bei den Einsätzen. Die Musiker des Orchesters genossen sichtlich die lauten, kräftigen Abschnitte dieses Satzes, was Martin Fröst noch mehr anspornte, im großen Dynamikumfang zu bleiben. Den Abschluss des Konzertes gestalteten die Musiker jedoch nicht mehr mit dem Nachdruck des Satzes zuvor.
Solist und Orchester hatten danach noch eine Zugabe vorbereitet. Die Bearbeitung einer alten Klezmer Melodie namens Don’t worry be happy von Martin Frösts Bruder Göran. Hier konnte der Solist nochmal mit einer Vielzahl an in der herkömmlichen Klassik selteneren Spieltechniken glänzen, und auch das Orchester begeisterte, indem es den schnellen Klezmer Rhythmen viel Leben einhauchte.
Als nächsten und letzten großen Programmpunkt stellte Thomas Hengelbrock die Bilder einer Ausstellung von Modest Mussorgsky vor und gab dazu eine kurze Einführung. Das Werk plante Mussorgsky als Hommage an seinen verstorbenen Freund und Maler Wiktor Hartmann, dessen Ausstellung er in die Komposition umsetzte.
Gleich am Anfang fiel die Sauberkeit und Präzision auf, mit der die Bläser den Einstieg gestalteten. Das hatte ich schon weitaus unsicherer gehört! Im weiteren Verlauf des Beginns spielte dann auch das gesamte Orchester sehr pointiert und stellte die Tutti-Passagen schön in den Raum. In Der Gnom wechselten die Musiker übergangslos in die Diktion der langsamen, elegischen Melodien und zeigten so ihre große Variabilität bei Stimmungsverläufen. Das alte Schloß spielte das Ensemble dann wiederum noch erzählender, so daß es zu gelingen schien die verschiedenen Bilder sehr plastisch darzustellen.
In Die Tuilerien taten sich besonders die Klarinetten hervor, die sehr filigran und perlend agierten und immer wieder kam das Orchester ad hoc gut zusammen auf den Punkt und bildete eine starke, klangliche Gemeinschaft. Allerdings hätten die Bläser in der zweiten Hälfte des Werkes noch mehr Gelegenheiten gehabt sich zu zeigen. An der einen oder anderen Stelle fehlte es etwas an Bewegungsfreude und Präsenz, in Der Ochsenkarren meinte man sogar einige Intonationsprobleme auszumachen. Das Heldentor zum Schluß war dann wie erwartet sehr kraftvoll und feierlich gespielt, wobei auch die große Glocke klanglich sehr gut mit Gefühl integriert war.
Es waren vollgepackte 60 Konzertminuten und das Publikum bekam viel Schönes in kurzer Zeit dargeboten. Ich hoffe sehr dass sich die „Konzerte für Hamburg” als eine Art Alternative zum herkömmlichen Klassikbetrieb etablieren und uns noch lange erhalten bleiben.