Der Abend war als krönender Abschluss des Ravel-Jahres geplant: Der in Zürich geborene Dirigent Philippe Jordan hätte das Konzert des Tonhalle-Orchesters Zürich leiten sollen, bei dem Valses nobles et sentimentales, die zweite Daphnis et Chloé-Suite und La Valse hätten dargeboten werden sollen. Doch Jordan, bis zum letzten Sommer Musikdirektor der Wiener Staatsoper, musste wegen Erkrankung absagen. Als Ersatz konnte die Tonhalle-Gesellschaft den deutschen Dirigenten Thomas Guggeis verpflichten. Mit seinen erst 32 Jahren ist Guggeis beileibe kein unbeschriebenes Blatt mehr: Die Liste seiner Engagements bei bedeutenden Orchestern ist bemerkenswert, und seit der Spielzeit 2023/24 ist er GMD der Oper Frankfurt.

Was tut ein Einspringer, um die Gunst des Publikums, das nicht seinetwegen gekommen ist, zu gewinnen? Der erste positive Punkt besteht darin, dass Guggeis das gesamte Programm, einschließlich des Zweiten Klavierkonzerts von Liszt, übernehmen konnte. Wahrlich keine Selbstverständlichkeit! Zweitens überzeugte er künstlerisch, und drittens setzte er sein Kommunikationstalent ein. Doch der Reihe nach...
Bei den Valses nobles et sentimentales, der Orchesterfassung des ursprünglichen Klavierzyklus, führte sich Guggeis als gefühlvoller und gleichzeitig umsichtiger Dirigent ein, der das Heft stets in der Hand behielt. Die Nobilität der sieben Walzer, bei denen sich Ravel unter anderem auf Schubert bezieht, blieb durchaus gewahrt, gleichzeitig ließ Guggeis beim sechsten Stück für einen Moment einen schrillen Tonfall erstehen, der das Konzertende mit La Valse vorausnahm.
Mit dem Klavierkonzert Nr. 2 in A-Dur von Franz Liszt warteten dann völlig entgegengesetzte Herausforderungen auf den Dirigenten. Dabei war die Fokussierung des Publikums allerdings auf den Solisten, den mazedonischen Pianisten Simon Trpčeski, ausgerichtet. Im Unterschied zum Ersten Klavierkonzert unternimmt es Liszt im Zweiten, aus der herkömmlichen dreisätzigen Form auszubrechen und ein facettenreiches einsätziges Gebilde zu schaffen. Obwohl die einzelnen Teile durch ein gemeinsames Thema zusammengehalten werden, das zu Beginn des Werks in den Klarinetten erklingt, wirkt das Konzert beim Anhören reichlich heterogen. Da konnte auch der Pianist nichts daran ändern, weder mit seiner beeindruckenden Virtuosität noch mit seiner Sensibilität. Da der Solopart zu großen Teilen nicht aus thematischem Material, sondern aus Arpeggien und Läufen besteht, entstand der Eindruck einer etwas unmotivierten Schaumschlägerei. Auch der Dirigent heizte dem Tonhalle-Orchester immer wieder kräftig ein, und am Schluss ging das pianistische Feuerwerk im Orchestertutti gänzlich unter. Entspannung dann bei der Zugabe: Trpčeski und Guggeis, der auch Pianist ist, setzten sich gemeinsam an den Flügel und spielten vierhändig ein Stück aus Ravels Märchenzyklus Ma mère l’oye.
Mit der zweiten Suite aus Ravels Ballett Daphnis et Chloé knüpfte Guggeis wieder beim Anfang des Konzerts an. Das delikate Klanggemälde, das in drei Sätzen an eine bukolische Liebesgeschichte aus der griechischen Antike anspielt, dirigierte er ohne Taktstock, wiederum mit großer Empathie für die Musikerinnen und Musiker. Und wer gedacht hätte, dass dem deutschen Dirigenten der französische Charakter dieser Komposition nicht liegen würde, sah sich gründlich getäuscht.
Vor dem Finale mit La Valse griff Guggeis zum Mikrophon, gab einige hilfreiche Erklärungen zu der Komposition ab und ließ einzelne Orchestermitglieder gestimmte Passagen daraus spielen. „Das Werk ist eine Hommage an den Wiener Walzer und gleichzeitig die Zerstörung desselben”, erklärte er, drehte sich um und legte los. Genau in dieser Art erklang nun die Interpretation des Tonhalle-Orchesters. Der Dirigent wuchs förmlich über sich hinaus und führte die allmähliche Demontage der anfänglichen Walzerseligkeit bis zur letzten, ohrenbetäubenden Konsequenz durch. Danach tosender Applaus, das Publikum war eingenommen. Stand da nicht einmal ein anderer Dirigent auf dem Programmzettel? Vergessen!

