Während einige Opernhäuser die Neuinszenierungen und Premieren ihrer Ring-Zyklen, pandemiegeplagt und stets mit bedrohlich bevorstehenden Lockdowns, absagen oder verschieben mussten – beispielsweise der nach dem Vorabend abgebrochene und später konzertant aufgeführte Ring in Paris, der auch über ein Jahr nach seiner geplanten Fertigstellung immer noch nicht vollständig gezeigt wurde, oder der Herheim-Ring an der benachbarten Deutschen Oper Berlin, der zwar komplett gezeigt, aber planungsbedingt in veränderter Reihenfolge auf die Bühne gebracht werden musste – scheint der Berliner Staatsopern-Ring von Dmitri Tcherniakov, über allen erhaben, jegliche coronainduzierte Hindernisse überwunden zu haben. Bis auf eines: Daniel Barenboim, der sich das Dirigat des neuen Rings zu seinem 80. Geburtstag eigentlich nicht nehmen lassen wollte, musste den Taktstock nun aufgrund gesundheitlicher Probleme abgeben. Für zumindest zwei der drei angesetzten Zyklen konnte mit Christian Thielemann ein ebenbürtiger Ersatz gefunden werden, der die illustre Besetzung hochkarätig anführen kann. Für Thielemann, der vor bereits 30 Jahren Wagner an der Deutschen Oper Berlin dirigierte und dort als damaliger neuer GMD seinen ersten Ring des Nibelungen leitete, schließt sich somit ganz symbolträchtig der Kreis.
Der Projektor in dem halbrunden, an ein anatomisches Theater erinnernden Hörsaal, zeigt die Blaupause für das megalomanische Walhall. Ebenso ambitioniert ist auch das von Tcherniakov gestaltete Bühnenbild: zahllose Etagen und sich immer neu offenbarende Räume, die Einblick in diese Ring-Welt geben. Wir befinden uns im Forschungszentrum E.S.C.H.E. – ein Akronym, bei dem wohl eines der „E“s für „Experiment“ steht, dessen sich Alberich als für die Faszination des Goldes korrumpierbarer Mensch unterwerfen muss. Angeschlossen und verkabelt muss er sich beobachtet von zahlreichen Ärzt*innen einem Experiment unterziehen, bei dem er nicht nur erotisch, sondern auch vom Reichtum und Macht des Rheingoldes in Versuchung geführt wird. Das geht jedoch gehörig schief und so befreit er sich in Rage und macht sich nach der Verwüstung des Labors mit dem Schatz, ein paar Kabeln und Leiterplatten unterm Arm aus dem Staub.
Das 19. Jahrhundert als Wiege unzähliger wissenschaftlicher, technischer und medizinischer Errungenschaften, aber auch das ebenso aufkeimende Interesse an Psychologie, Spiritismus als Nährboden für Scharlatanerie und Irrlehren, bilden Inspiration für diesen Ausgangspunkt; sowie die bereits im 19. Jahrhundert vorgenommenen Untersuchungen der psychologischen Profile und Geschichten von Verbrechern, um herauszufinden, was einen Menschen zum (potenziellen) Täter werden lässt. Die Ursachen geistiger und moralischer Abweichungen wurden von Karl Philipp Moritz in seiner Experimental-Seelenlehre untersucht, um festzustellen, ob diesen Abweichungen Ursachen zu Grunde liegen oder sie gar in der Natur eines Menschen liegen können. In diesem Fall ist Alberich der Leidtragende.
Ästhetisch sieht Tcherniakovs Inszenierung jedoch allzu sehr danach aus, wenn ein russischer Regisseur in einem (ehemals) ostdeutschen Opernhaus inszeniert. Marmor- und holzgetäfelte Räume mit Herrscherbüsten, schwere, dunkle Möbel in einem Interieur, an denen der Zahn der Zeit nagt und in denen der Geist Erich Milekes zu spuken scheint... In Wotans Büro wird Cognac getrunken, viel geraucht und die Männer machen die Geschäfte und Verträge unter sich aus. Die Kostüme, gestaltet von Elena Zaysteva, hängt dieser gewisse Charme des Gewesenen ebenso an: Loge im senfgelben Samtanzug, Fafner im braunen Ledermantel und Wotan mit karamellfarbenen Jackett bilden dabei farbenreiche Hingucker.