Eine Neuproduktion von Elektra in Wien mit Nina Stemmes Rollendebüt als Titelheldin wird selbstverständlich mit hohen Erwartungen begrüßt. Die Sopranistin hat diese Ansprüche mehr als erfüllt, und wie die ihrer schwedischen Vorgängerin Birgit Nilsson war auch ihre stimmliche und künstlerische Leistung außergewöhnlich.

Regisseur Uwe Eric Laufenberg hat sich dafür entschieden, die Oper im Keller eines Wiener Stadthauses um 1910 anzusiedeln, dem Jahr nach der Uraufführung des Werkes in Dresden. Anstelle eines Innenhofes war Elektra im dunklen Kohlenkeller eingesperrt, der mit einer weiß gekachelten Dusche auf der rechten Bühnenseite ausgestattet war. Der Keller selbst war mit Aufzügen zur Bühnenlinken mit dem Obergeschoss verbunden. Die gedämpften Töne von schwarz und weiß schienen das Konzept des Librettisten Hofmannsthal von Elektra als Mischung aus Nacht und Tag, aus dunkel und hell zu spiegeln. Die Aufzüge wurden, wenn sie in Bewegung waren, mit einem holzig-goldenen Ton beleuchtet. Während es eine regietechnische Aspekte gab, die eher ablenkten – beispielsweise eine Parade von Leichen und Körperteilen im Aufzug nach den beiden Morden und die Tatsache, dass andere Tänzer in Elektras freudigen Tanz einfielen, nach welchem sie einfach die Bühne verließ, anstatt zusammenzubrechen - erzählte diese Produktion im Großen und Ganzen die Geschichte Elektras in ihrer düsteren Einfachheit.

Die Kostüme waren ebenfalls monochrom gehalten. Elektra trug einen schwarzen Herrenanzug, der sofort ihre Entfremdung von ihrer weiblichen Sexualität und der konventionellen Welt bedeutete. Ihre Schwester, Chrysothemis, die sich nach dem normalen Leben einer Frau mit Heirat und Kindern sehnt, trug ein mädchenhaftes, weißes Spitzenkleid, das auch ein Hochzeitskleid sein könnte. Elektras Mutter Klytämnestra war elegant gekleidet und trug ein langes, edelsteinbesetztes, helles, enganliegendes Kleid und einen prächtigen, goldenen Mantel. Die Dienstboden und die Männer trugen praktische, beinahe militärisch anmutende Kleidung.

Die sexuelle Uneindeutigkeit der dysfunktionalen Familie, an deren Spitze der ermordete Vater Agamemnon stand (im gekürzten Text gab es eine starke Andeutung von sexuellem Missbrauch der jungen Elektra), wurde hier als nahezu inzestuöse Bekanntschaft zwischen Elektra und ihrem verlorenen geglaubten Bruder Orest gezeichnet. In der Erkennungsszene legt Elektra ihre maskuline Garderobe ab, als sie und ihr Bruder sich umarmen, unter der ein schlichtes, schwarzes Kleid zum Vorschein kommt. Die Musik ihres Duetts setzt sich mit seinen lyrischen, zarten Melodien vom Rest der Oper ab, dessen donnernde Musik von synkopierten, bisweilen an der Sprache orientierten Rhythmen geprägt ist. Die Inszenierung, die eine mögliche sexuelle Beziehung zwischen Bruder und Schwester andeutete, war irritierend, aber nicht unpassend, wenn die einzige Möglichkeit für Elektra, Liebe zu erfahren, in einer solchen inzestuösen Beziehung ist.

Nina Stemme hat sich für eine Darstellung entschieden, die Elektra nicht so sehr als eindeutig verrücktes Tier zeigt, sondern als verbitterte, berechnende und rebellische Außenseiterin, die nur den richtigen Moment für ihre Rache abwartet. Ihre ersten Worte, „Allein! Weh, ganz allein“ begann sie leise und nachdenklich, doch ihre Stimme gewann bald an Lautstärke und Kraft und wuchs schließlich zur Naturgewalt. Sie nahm sich bedacht zurück, doch ihre Energie und ihre Konzentration ließen nie nach. Ihre Stimme war äußerst voluminös und drang in allen Lagen mit Leichtigkeit durch das große Orchester. Die wechselnde Stimmung und die Gedanken ihrer Figur drückte sie in dynamischen Nuance und Stimmfarben aus, wobei ihre mittlere Lage besonders schön war. An hohe Töne ging sie eher leicht heran denn mit wuchtiger Attacke, ließ sie dann jedoch in ihren Höhepunkten aufblühen. Es war einfach eine ergreifende, aufregende und wohlartikulierte Interpretation. Auch ihr Spiel war beispielhaft, und ihr Aufeinandertreffen mit ihrer Schwester, ihrer Mutter, ihrem Bruder und ihrem Stiefvater zeigten allesamt ihre Fähigkeit, ihre Stimme und ihren Körper zu nutzen, um auf ihre Umgebung zu reagieren und mit ihr zu interagieren.

Als Chrysothemis vertrat Ricarda Merbeth die indisponierte Anne Schwanewilms und begann eher zaghaft mit unsicheren hohen Tönen. Ihre mittlere Lage war jedoch kräftig und verband sich in ihrem Duett gut mit Stemmes Stimme. Im Laufe der Oper wurde Merbeth jedoch besser und formte gegen Ende einen wunderschönen Spitzenton. Man hätte sich einen jugendlicheren, freudigeren Gesang gewünscht, der ihre Figur deutlicher mit Elektra kontrastierte, doch es war dennoch eine glaubhafte Darbietung.

Anna Larsson als Klytämnestra war eine ungewöhnlich elegante und statueske Figur, und sie sang eher formschön und lyrisch als mit dem deklamatorischem Wehklagen und Schreien, das man bisweilen hört. Diese Klytämnestra war eine körperlich zerbrechliche und kummervolle Gestalt, die nichts anderes wollte als Elektras Vergebung, und ihre Verzweiflung darüber, dass sie von Elektra manipuliert worden war – zuerst vorgespieltes Verständnis, dann Zurückweisung – schien sowohl stimmlich als auch physisch niederschmetternd.

Falk Struckmann als Orest machte eine bemerkenswerte Figur auf der Bühne in seinem Trenchcoat mit Fellkragen. Seine tiefe Stimme verströmte Autorität und Würde, doch unglücklicherweise verunzierten Verschleiß und ein gelegentliches Wackeln der Stimme, besonders in höherer Lage, diese ansonsten bewegende Darbietung. In seinem kurzen Auftritt gab Norbert Ernst einen ausgezeichneten Aegisth, seine Stimme klar und hell, sein Gesang nuanciert, ohne zu karikieren. Einen soliden Pfleger für Orest sah man in Wolfgang Bankl; unter den Nebenrollen machten Ildiko Raimondis fünfte Magd und Ulrike Helzels dritte Magd einen starken Eindruck. Raimondi war besonders effektiv als die einzige Stimme unter den Dienern, die Elektra klar verteidigte; ihre Rolle wurde durch ihr weißes Kostüm unterstrichen, während das übrige Dienstpersonal tristes grau trug.

Das Orchester der Wiener Staatsoper spielte mit seiner üblichen Pracht und Kunstfertigkeit, besonders in den Streichern und dem Blech, wenngleich es in den Holzbläsern zu Anfang kleinere Probleme gab. Wie Dirigent Mikko Franck in seinem veröffentlichten Interview jedoch erklärte, sollten folgende Vorstellungen die Möglichkeit zur Verbesserung bieten.

 

Aus dem Englischen übertragen von Hedy Mühleck

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