Für seine letzte Oper als Chefdirigent der Staatskapelle Dresden nahm Christian Thielemann im Orchestergraben der Semperoper eine Neuinszenierung von Die Frau ohne Schatten durch David Bösch in Angriff. Die vierte gemeinsame Arbeit von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal ist ein gewaltiges Meisterwerk voller Symbolik und Allegorie, in dessen Mittelpunkt zwei Paare stehen, das eine im Himmel, das andere auf der Erde, die beide mit einer kinderlosen Ehe zu kämpfen haben. Die Geschichte, die größtenteils vor und während des Ersten Weltkriegs entstand, spiegelt sowohl ein Gefühl der bedrohlichen Vorahnung als auch des Optimismus für eine bessere Zukunft wider. Es ist ein herausforderndes, aber letztlich kathartisches Werk, dem man beiwohnen kann. Das innovative Produktionsteam und die ausgezeichneten Musiker trugen zu einer unvergesslichen Aufführung bei, die ohne die üblichen musikalischen Schnitte auskam und mit einer Überraschung am Ende, einem Akt der Regiefreiheit, aufwartete.

Camilla Nylund (Die Kaiserin) © Semperoper Dresden | Ludwig Olah
Camilla Nylund (Die Kaiserin)
© Semperoper Dresden | Ludwig Olah

Der Bühnenbildner Patrick Bannwart stellt die himmlische Sphäre durch transparente, vom Boden bis zur Decke reichende weiße Vorhänge dar, die das reinweiße Ehebett von Kaiser und Kaiserin verdecken. Die Kaiserin und ihre Amme steigen in einem Aufzug in die menschliche Welt hinab, der gleichzeitig die Tür zu einem tristen grauen Raum ist, dem Arbeits- und Wohnbereich von Barak dem Färber und seiner Frau. Dort steht ein Bett, allerdings nicht in der Mitte, sondern an der Seite. Bei Szenenwechseln wird ein schwarzer Vorhang heruntergelassen, damit das Publikum ungestört in Strauss' Überleitungsmusik schwelgen kann. Videos (Bannwart und Falko Herold) werden sparsam und mit Bedacht eingesetzt, um imaginäre Tiere und Kinder darzustellen. Ein riesiger weißer Falke schwebt über den Albträumen der Kaiserin; die Fantasien der Färberin sind in rosa Kleider gehüllt; zu Baraks Festmahl gehören riesige Fische und ein Schwein.

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Camilla Nylund (Die Kaiserin), Evelyn Herlitzius (Die Amme) und Chor
© Semperoper Dresden | Ludwig Olah

Nach dem katastrophalen Ereignis am Ende des zweiten Aktes, bei dem Baraks Zimmer in zwei Teile geteilt wird, um die Entfremdung des Paares zu signalisieren, wird das Zimmer gegen Ende des dritten Aktes wieder zusammengesetzt. Dennoch hatte ich das seltsame Gefühl, dass es nicht mehr dasselbe Zimmer war. Wir haben mit den Protagonisten eine spirituelle Reise unternommen, nach der nichts mehr so ist wie vorher. Die Oper endet damit, dass der Raum wieder in zwei Plattformen geteilt wird, die sich voneinander entfernen, eine mit der Kaiserin und Barak, die andere mit dem Kaiser und Baraks Ehefrau. Die Gegenüberstellung der Paare wird von der Amme inszeniert, die allein auf der Bühne bleibt. Trotz dieser letzten Wendung zeichnet sich die Inszenierung von Bösch durch ihre Kohärenz und ihre Fähigkeit aus, die Geschichte auf einfache Weise zu erzählen.

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Eric Cutler (Der Kaiser) und Camilla Nylund (Die Kaiserin)
© Semperoper Dresden | Ludwig Olah

Camilla Nylunds Kaiserin erinnerte daran, dass es in dieser Oper tatsächlich um die Frau ohne Schatten geht. Nach einer anspruchsvollen Eröffnungsszene voller hochfliegender lyrischer und Koloraturpassagen ist die Kaiserin im mittleren Akt weitgehend still. Aber der dritte Akt gehört ihr, wenn sie Mitgefühl und Verständnis für die Menschheit entwickelt und sich ihrem Schicksal stellt. Hier erfordert die Rolle eine starke, dramatische Stimme, die auch deklamatorisches Sprechen ermöglicht. Nylund verfügt über einen Sopran von schierer Schönheit; ihre Stimme blieb rein und sicher, als sie sich in die Höhe schwang und die schwere Orchestrierung durchbrach. Es war ein Vergnügen, eine Sängerin zu hören, die diese anspruchsvolle Rolle meistert. Eric Cutler sang den Kaiser mit Kraft, Nuancierung und Sensibilität, und der Übergang in die höhere Tessitura erfolgte nahtlos und geschickt.

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Evelyn Herlitzius (Die Amme) und Andreas Bauer Kanabas (Der Geisterbote)
© Semperoper Dresden | Ludwig Olah

Der ukrainische Bassbariton Oleksandr Pushniak, der sein Rollendebüt als Barak gab, erwies sich als hervorragende und versierte Ergänzung zu seinen erfahreneren Kollegen. Die Stimme ist groß, aber fokussiert, mit schönem Legato, wo es nötig ist. Sein Spiel als liebender und verwirrter Ehemann war sympathisch und echt. Als Frau des Färbers sang Mina-Lisa Värelä mit großer Kraft und üppiger Bruststimme, ihre Höhen neigten jedoch zur Schrillheit.

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Miina-Liisa Värelä (Die Färberin)
© Semperoper Dresden | Ludwig Olah

Die Amme ist die längste und schwierigste Rolle in dieser Oper. Die erfahrene Sopranistin Evelyn Herlitzius war dieser Aufgabe bestens gewachsen und erntete den größten Beifall des Abends. Ihre Stimme war zwar klein, dennoch trug sie gut und klar. Sie bewältigte den großen Stimmumfang mit Souveränität und unbändiger Energie und bewegte sich anmutig und athletisch. Die Amme von Herlitzius war eine meisterhafte Soziopathin, die Sympathie für das kaiserliche Paar vortäuschte und die Färberin verführte, während sie ihren eigenen Plan der Zerstörung schmiedete. Ihr leerer Blick am Ende war erschreckend. Die übrige Besetzung war ebenso beeindruckend, wobei Nikola Hillebrand als Wächterin der Schwelle und Andreas Bauer Kanabas als Geisterbote von Keikobad besonders hervorstachen.

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Evelyn Herlitzius (Die Amme)
© Semperoper Dresden | Ludwig Olah

Wenn Christian Thielemann Strauss dirigiert, fehlen einem fast die Worte. Er ist stets auf die Sänger*innen bedacht, kontrolliert die Dynamik und schafft es dennoch, der Staatskapelle Dresden die aufregendsten und bewegendsten Klänge zu entlocken. Man wird ihn hier vermissen, aber in Berlin willkommen heißen, wenn er im September die Rolle des Generalmusikdirektors an der Staatsoper Unter den Linden übernimmt. 

Ins Deutsche übertragen von Elisabeth Schwarz.

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