In Bayreuth wurde die erste Götterdämmerung am Freitag aufgeführt. In der kleinen österreichischen Stadt Erl – etwa 400km vom Bayreuther Grünen Hügel entfernt – erlebten die glücklichen Zuschauer, viele ziemlich übernächtigt, am Sonntag die gleiche Oper unter der Leitung von Dirigent Gustav Kuhn n einem 24-Stunden-Ring. Das Bühnenbild war minimalistisch und die meisten Sänger unbekannt, und doch war er ein durchschlagender Erfolg: Viele Zuschauer möchten auch im nächsten Jahr zum Ring wiederkommen, der dann auch mit etwas humanerem Zeitplan an vier aufeinander folgenden Abenden aufgeführt wird.
Die Nornen nutzen drei überkreuzte Stangen als Anker für Ihre Lebensfäden. Umbauten gehen schnell und leise während der musikalischen Übergänge vor sich, beispielsweise in Brünnhildes und Siegfrieds Abschiedsszene, in der die beiden von einem kleinen Podest singen, die sich schnell in die Halle der Gibichungen in Form eines Wohnzimmers mit Stühlen, Sofa und Beistelltischen verwandelt. Gunther trägt einen schicken Anzug, Hagen in Nadelstreifen mutet eher wie ein Bodyguard an, Gutrune präsentiert sich im Cocktail-Kleid. Siegfrieds Rheinfahrt vollzog sich im Gang des Zuschauerraumes; er verließ ihm und kam durch die Hintertür zurück, begleitet von ortsansässigen Kindern als Komparsen, die ein Paddel und ein Spielzeugpferd trugen.
Die Bühnenhandlung ist deutlich darauf ausgelegt, das Publikum miteinzubeziehen, mit Erfolg. Als Brünnhilde, in einen roten Schal gehüllt, sich langsam hinter ein hohes Podium duckt, auf dem eben erst die Opferszene stattgefunden hat, ist die Bühne bis auf einige Feuerschalen völlig dunkel, und wir konnten die letzten musikalischen Augenblicke des Rings bis zum Schluss auskosten. Nachdem die Musik geendet hatte, war es für einige Sekunden völlig still, bevor das Publikum in Applaus und Bravo-Rufe ausbrach.
Die gesangliche Leistung im ganzen Erler Ring war qualitativ sehr unterschiedlich, doch es war eindeutig, dass die besten Sänger für die Götterdämmerung aufgespart worden waren. Den größten Jubel erntete, verdienterweise, die Schweizer Sopranistin Mona Somm als Brünnhilde. Sie sang und spielte die anspruchsvolle Rolle sicher, mit viel Energie und einer Stimme, die durch den Zuschauerraum bis in die letzten Reihen reichte. Ihre hohen Töne waren bisweilen ein wenig scharf, und man könnte sich in der mittleren Lage etwas mehr Wärme wünschen, doch sie war nie schrill und konnte sich spielend über die dichte Orchestermusik setzen. Sie ist groß und schlank und machte auf der Bühne eine eindrucksvolle Figur, alle Töne waren klar und sauber, ihr Selbstvertrauen ließ nie nach, und ihre Opferszene war bewegend.
Sie wurde gut von starken Männerstimmen unterstützt. Andrea Silvestrelli als Hagen besitzt eine tiefe, raue Stimme die vielleicht nicht jedermanns Sache ist, aber sie tönte laut und klar, und seine Hornruf-Szene mit einem ausgezeichneten Männerchor war denkwürdig. Michael Kupfer, der im Rheingold die Rolle des Wotan gesungen hatte, war eine Luxus-Besetzung in der Rolle des gutaussehenden und Kokain-schnupfenden Gunther, und er war überragend in seiner Darstellung der Zwiegespaltenheit seiner Rollenfigur, als sie in Hagens Plan hineingezogen wird. Das Vergeltungs-Trio war besonders beeindruckend, denn man konnte alle drei Sänger deutlich hören, als sie Siegfried Rache schworen.