Kein Konzert ohne Komponistin, so heißt es in dieser Saison beim Deutschen Symphonie-Orchester Berlin. So steht an diesem Abend Anna Clynes Color Field als erstes auf dem Programm. Inspiriert von Mark Rothkos Gemälde Orange, Rot, Gelb beginnt das dreisätzige Werk wie ein flächiges Klanggemälde. Immer wieder scheint durch feine Steigerungen und Decrescendi in den Streichern, das Licht aufzublitzen und wieder zu verschwinden. Der zweite Satz hingegen findet sich rhythmisch irgendwo zwischen Wikingertanz und Teufelsaustreibung wieder. Das Schlagwerk wirbelt, die Basssaiten knallen, das musikalische Feuer lodert auf, ehe das geordnete Chaos von einem sich stets wiederholenden Motiv durchbrochen wird.

Der finale Satz kehrt zurück zum Ausgangspunkt des Werkes. Auch wenn das Orchester hin und wieder stürmisch aufbraust, überwiegen die sanften Streicherklänge. Das ist spannend, doch mehr als ein Anfang scheint es nicht zu sein. Schade, dass trotz der großen Ankündigung zu Beginn der Saison allzu häufig Ouvertüren oder andere kurze Auftaktwerke auf dem Programm stehen. Da hätten die Damen der Zunft mehr verdient, gibt es doch so viel aus allen Jahrhunderten zu entdecken. Stattdessen besinnt sich das Programm, für das der finnische Dirigent Santtu-Matias Rouvali an der Spree zu Gast ist, anschließend auf zwei wahre Schlachtrösser des Konzertliteratur: Piotr Tschaikowskys Konzert für Violine und Orchester in D-Dur, mit Vadim Gluzman als Solisten, gefolgt von Dmitri Schostakowitschs Symphonie Nr. 10.
Gluzmans Interpretation von Tschaikowskys einzigem Violinkonzert ist eine durch und durch klassische. Statt in die Extreme zu gehen, pflegt der Geigensolist einen betont sanften Ansatz. Wirkt Gluzman während seines Spiels zunächst höchst-konzentriert, in sich gekehrt und zurückhaltend, taut er bei den folgenden Tutti förmlich auf, wendet sich mehrfach dem Orchester zu, scheint dieses fast mitzudirigieren. Das Eis ist gebrochen. Hatte es in den ersten Minuten noch auseinander strebende Tendenzen bei der Tempiwahl gegeben, wirkt nun auch das Orchester forscher, das Zusammenspiel organischer.
Sentimental-schwelgend beginnt schließlich der zweite Satz, ehe im dritten volle tänzerische Fahrt aufgenommen wird. Während Gluzman die langen Linien betont, legt Rouvali Wert darauf, auch einzelne Orchesterstimmen herauszuarbeiten. Fast ein Stopp, dann volle Kraft voraus: Immer wieder wissen Dirigent wie Solist feine Tempiabstufungen vorzunehmen, bewusst zu verlangsamen, die Dynamik voll auszuloten. Auch durch einen Notfall im Zuschauerraum lassen sie sich nicht aus der Ruhe bringen. Beobachtend wird die Phrase zunächst zu Ende gespielt, das Stück anschließend kurz unterbrochen, ehe dann nach Wiederbeginn der rasante Höhepunkt folgt.
Ganz entgegengesetzt, introvertiert gar nachdenklich, wirkt anschließend Gluzmans Zugabe, eine Serenade aus der Feder des ukrainischen Komponisten Valentin Silvestrov. Musik könne nicht heilen, aber eine Zuflucht sein, so der Solist, der das kurze Stück an diesem Abend seinem Geburtsland Ukraine und seinem Heimatland Israel widmet.
Mit seidenem Streicherklang und starken Phrasierungsakzenten beginnt Schostakowitschs Zehnte Symphonie nach der Pause. Das Werk ist der Befreiungsschlag des Komponisten nach Stalins Tod. Immer schneller scheint sich das Rad im ersten Satz zu drehen, stets bedrohlicher wirkt die Lage. Doch lassen sich Dirigent und Orchester nicht hetzen. Im Wiegeschritt und mit deutlichen gesetzten Gesten formt Rouvali den Orchesterklang. Dabei weiß der Finne um die Wichtigkeit wohlplatzierter Pausen, setzt diese ein, schafft so in der Stille wie in den sanften und lauten Momenten markante Akzente.
Wie kaum ein anderes Werk Schostakowitschs braucht seine wohl persönlichste Symphonie, die in allen ihren gegenläufigen Formen schnell Gefahr läuft, in ihre Einzelteile zu zerbrechen, einen Dirigenten, der das Werk sowohl in seiner Gesamtheit sieht und den nötigen Weitblick hat, es zu interpretieren. Glücklicherweise hat das Deutsche Symphonie-Orchester in Rouvali den passenden Partner für diesen Abend gefunden. Manchmal jedoch scheint die Spielfreude des Orchesters außerhalb geregelter Bahnen zu entgleiten. So fehlt in den großen Passagen ab und an die Feinpräzision. In der Folge geraten diese mehr lärmend denn markdurchdringend, doch das ist ob des großen Enthusiasmus und Rouvalis Blick auf das Ganze schnell wieder vergessen.