Das Musikfest 2017 wurde mit einem Konzert des Orchesters der Deutschen Oper Berlin beschlossen. Gegeben wurden zwei Bruchstücke zweier Riesenwerke: Nach Auszügen von Roméo et Juliette von Hector Berlioz erklang die konzertante Aufführung des dritten Aufzugs der Walküre Richard Wagners. Und die beiden Bruchstücke beleuchteten die zwei Seiten des Orchester.

Donald Runnicles, seit 2009 Generalmusikdirektor der Deutschen Oper Berlin, wählte zu Beginn die tumultuarische Fuge, die zur Eröffnung des Werkes den Familienzwist zwischen den Capulets und den Montagues tönend schildert. Die Streicher legten beherzt los, doch so schnell treffen einander die Blicke Romeos und Julias nicht! Fast zu unversehens wird der Hörer in dieser Aufführung in die Liebesszene geworfen, die der Komponist noch im Alter das Schönste nannte, was er je komponiert habe. Da er dem Titelpaar kein Duett, sondern ihre Gesänge dem Orchester anvertraute, waren den Orchestermusikern die Töne der Sehnsucht zu entlocken. Ein wenig kam aber der Eindruck auf, als sparten sich diese die großen Leidenschaften noch für den zweiten Teil des Abends auf. Von drängenden Verlangen in den Streichern war nicht viel zu hören. Besser getroffen war das spukhaft dahin huschende Scherzo, in dem Berlioz die Traumerzählung der Fee Mab musikalisierte, in der den Träumenden Flausen in den Kopf gesetzt werden, um ihre Liebe zu verwirren. Hier spielte das Orchester virtuos und fein abgestuft.

Ein Teil eines Ganzen ist auch in diesem zweiten Teil zu hören - und doch stellte sich hier eine Geschlossenheit ein, die im ersten Teil fehlte. Es war bewundernswert, wie sich alle Musiker auf dem Podium verausgabten, um diesen dritten Aufzug der Walküre zu einem großen Bogen zu formen: Er beginnt mit der äußeren Pracht des „Walkürenritts“, wo durchaus noch lärmend musiziert wurde, führt über die Bestrafung und Verzweiflung Brünhildes, dafür verstoßen zu werden, im Sinne Wotans gegen sein Gebot gehandelt zu haben, bis hin zu Wotans Wandel von schäumender Wut zum milden Abschied von seiner Lieblingstochter, für den Wagner die rührendsten Töne gefunden hat, bevor er den Aufzug im Feuerzauber verklingen ließ. Diese Entwicklung zu gestalten verlangt ein so hellwaches, gut aufgelegtes Orchester wie das der Deutschen Oper, das sich an diesem Abend nicht allein von Runnicles, sondern auch von den drei Haupt-Sängern inspirieren ließ.

Schon vor einem Jahr war Anja Harteros als Sieglinde in der konzertanten Aufführung des ersten Aufzugs der Walküre in Berlin zu hören gewesen. Im dritten Aufzug hatte sie nur noch einen kurzen Auftritt, der ihr aber in wenigen Takten alles abverlangte. Von erstarrter Todessehnsucht wandelte sie sich zur hoffnungsvollen Mutter, deren letzte Aufgabe es sein wird, den Retter der Welt zu gebären. Ihre Darbietung war so gefasst wie kultiviert im Ton.

Den Großteil des dritten Aufzugs nimmt aber der Dialog zwischen Wotan und Brünnhilde ein, gesungen von zwei Ensemblemitgliedern des Hauses: Sir Bryn Terfel und Allison Oakes. Während der Bassbariton den Wotan schon mehrfach gesungen hat, hat die Sopranistin noch keine Erfahrung mit der Rolle der Brünnhilde. Doch es klang so, als hätten die beiden ihre Partien schon oft miteinander aufgeführt. Will der Hörer dieses Abends aber nicht allein schöne Stimmen bewundern, sondern verstehen, was dort erklingt, muss er sich an Wotans Monolog aus dem zweiten Aufzug erinnern und daran, dass seine Lieblingstochter beim Zuhören genau spürte, dass der Vater, indem er den Tod Siegmunds beschloss, zum Knecht der eigenen Gesetze wurde, obwohl er längst wusste, dass allein der freie Mensch zu lösen imstande ist, was er selbst zu tun nicht mehr vermochte. Die Kunst einer jeden Aufführung dieses Aufzuges besteht darin, glaubhaft zu vermitteln, dass es der schwer bestraften Tochter gelingt, von sich abzusehen und Wotan vom blind Wütenden zu einem Sehenden zu machen, der die Strafe so umlenkt, dass aus bloßer Demütigung der Verwirklichung der Freiheitsidee der Weg geebnet wird. Wieder hat Brünhilde nur freigelegt, was der in seine Zwänge Verstrickte selbst nicht zu Wege gebracht hätte. So ist am Ende Versöhnung in Liebe möglich. 

Bryn Terfel musste sich anfangs mit seiner mächtigen Stimme durch die Orchestermassen kämpfen. Am Ende, als  er seinen inneren Zwiespalt überwunden hatte, sang er so innig, dass er das Orchester zu leiten schien, das sich nun völlig  zurücknahm. Die größte Überraschung des Abends aber war Allison Oakes, die eine Brünnhilde gab, als hätte sie in ihrem Leben nichts anderes gesungen - und das immer textverständlich. Sie verstand es, als Entgöttlichte die menschlichen Töne zu finden. Sie fügte sich in ihr Schicksal ein und opferte sich auf. Im Vorausblick auf den Schluss der Götterdämmerung stellte sie ihre Liebe in den Dienst der Befreiung.

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