Leidenschaft und Seele, sie hängen oft dicht zusammen. Ganz besonders bei den Menschen in Russland und den Republiken dieser Region: starker Wille zeichnet die legendäre russische Seele aus, gewürzt mit einer kräftigen Prise Melancholie, und eine tief empfundene Sehnsucht, wenn man das Mutterland einmal verlassen hat.

Vadim Gluzman © Marco Borggreve
Vadim Gluzman
© Marco Borggreve

Russische Seele und Sehnsucht klangen auch bei Komponisten heraus, die die Bamberger Symphoniker in ihrem ersten Konzert dieser Saison im Fürther Stadttheater zur Aufführung brachten. Ganz erfreulich dabei, wie viele junge Talente aus ihrer Orchesterakademie in die Klangtradition der Bamberger wachsen. Zwei international renommierten Musikern konnte das Publikum im gut besetzten Stadttheater zujubeln: dem in der Ukraine geborenen Geiger Vadim Gluzman sowie dem slowakischen Dirigenten Juraj Valčuha, der bei den Bambergern bereits öfters zu Gast war und in dieser Saison an der Bayerischen Staatsoper München noch Wagners Tristan und Isolde sowie Puccinis Fanciulla del West dirigieren wird.

Valentin Silvestrov gilt als einer der führenden Vertreter der Kiewer Avantgarde, die um 1960 im Fokus der damaligen konservativen sowjetischen Musikästhetik heftig kritisiert wurde. Seine Musik wurde in seiner Heimatstadt kaum gespielt; Uraufführungen waren nur in Russland oder zumeist im Westen zu hören. Nun wurde er Zeuge des gegenwärtigen Kriegs der russischen Armee gegen seine Heimat, musste sie gegen seinen Willen verlassen und lebt gegenwärtig in Deutschland. Silvestrovs Werke, nach seinen Worten „keine neue Musik“ und eher „Antwort und ein Echo auf das, was bereits existiert“, klingen ruhig, elegisch. Die in Fürth gespielte Abendserenade aus seiner 2002 dem Musikproduzenten Manfred Eicher gewidmeten Stillen Musik war eine träumerische Wanderung der Streicher, die zum Pizzicato der Bratschen in einen leise wiegenden Schluss mündete: Metaphern der Stille, wo eine Melodie erklingt für das, was nicht in Worte zu fassen ist.

In Sergej Prokofjews Zweitem Violinkonzert dominiert das Soloinstrument; schon das einleitende, vom Orchester unbegleitete Hauptthema des Allegro moderato spielte Gluzman mit drängenden melodischen Bögen und feinsten klanglichen Abstufungen. Die hohen technische Anforderungen meisterte er mit energiegeladenem Spiel und durchsetzungsfähigem Ton. Rhythmisch-metrische Widerborstigkeiten erklangen in stupender Technik; die elegische Stimmungsmalerei im Andante, über Klarinetten und Streicher-Pizzicato, kostete er voller Spannung aus; reizvolle Seitengedanken des Allegretto-Mittelteils entfaltete er in höchster Schönheit bis zu ihrem Ausklang in geradezu romantischer Wärme zu Horn- und Cellogrund. Das abschließende Allegro ben marcato im Dreivierteltakt gestaltete er zum rhapsodisch ungestümen Tanz, nach knappen lyrischen Einwürfen führte eine ungestüme Steigerung zu virtuosem Schlusseffekt. Als Zugabe spielte Gluzman, der inzwischen in Israel lebt und derzeit dort erneut in beunruhigende Kriegssituationen kommt, ein kleines Violinsolo, von Silvestrov wiederum, wie ein Volkslied im Stile Bachs erzählend.

Den Solisten hatte Valčuha mit den Bambergern bereits in der vorwärtsdrängenden Motorik des Konzerts unterstützt, mit feinsten Impulsen sensible Übergänge herausgearbeitet. Die ausdrucksstarke Mehrschichtigkeit von Tschaikowskys Pathétique, dessen Wünsche, Ängste, Qualen und Träume zogen in Valčuhas Interpretation mit fulminanten Bambergern die Zuhörer in ihren Bann. Wie aus dem Nichts die Klage des Fagotts über dunkle Akkorde tiefer Bässe; glühender Gesang eines Traumbilds als zweites Thema. In der Klimax zu gellenden Trompetenstößen hin signalisierte Valčuha dann auch mit weiten Armschwüngen das Aufbäumen eines Helden, dämpft geschickt ins resignative Verklingen des Satzes.

Wie aus dem Stimmengewirr eines Salons das Allegro con grazia, in dem sonore Violoncelli das Hauptthema anstimmten, leuchtende Holzbläser in heiterer Unbeschwertheit antworteten. Geheimnisvoll und gleichsam mit feiner Tuschefeder Valčuhas Zeichnung des dritten Satzes, die viele Instrumentalsoli herausblitzen ließ.

Im ungewöhnlichen finalen Adagio lamentoso des Finales ist es wieder breiter Pinselstrich, mit dem Valčuha und die Bamberger im verzweifelten Abgesang aus Tschaikowskys Lebensende überzeugten. Trotzdem gelang es Valčuha auch hier, das Klangbild so weit zu öffnen, dass oft unbeachtete Nebenstimmen über dem Streicherrausch Luft zur Entfaltung bekamen. Ein Requiem bewegender Klage, Schmerz ohne Sentimentalität in wundervoll expressiver Ausdrucksmusik großer Künstler!

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