Eine womöglich heimliche Liebeserklärung an den unerreichbaren Geliebten und eine Ode an das häusliche Zusammenleben mit all seinen Höhen und Tiefen – bei den Berliner Philharmonikern steht der Valentinstag ganz im Zeichen von Liebe und Familie. Ein kontrastreiches Klanggemälde unter der Leitung von Chefdirigent Kirill Petrenko, das in seiner Opulenz so gar nichts mit der am Aschermittwoch ebenfalls begonnenen Fastenzeit zu tun zu haben scheint.
Zunächst steht jedoch Johannes Brahms Tragische Ouvertüre auf dem Programm. Sie ersetzt mit einigen Wochen Ansage die Symphonische Dichtung Les Préludes von Franz Liszt, die – aufgrund ihrer missbräuchlichen Nutzung wegen der NS-Zeit als Russlandfanfare in der Wochenschau – Dirigent und Orchester in der „derzeitigen Weltlage (…) als unangemessen“ erscheint. Eine Entscheidung, die – ganz ohne Wertung – zumindest zum Nachdenken über Musik, ihre Rezeptionsgeschichte und das Nachleben anregt. Brahms mit Liszt zu ersetzen, da mag mancher an Kulturkampf anderer Zeiten denken, doch tatsächlich klingt der erklärte Nicht-Programmatiker Brahms selten so programmatisch wie in seiner Tragischen Ouvertüre.
Dabei setzt Petrenko auf feine Klangzeichnung zwischen wohlklingender Schönheit und dramatischem Fatalismus. Bekannt markig und präzise beginnen die zwei einleitenden Akkordschläge, im folgenden harmonisch wirrenden Streichermotiv setzen Orchester und Dirigent auf feine Steigerungen und Akzente. Forsch streben sie nach vorne, immer dringlicher scheint das tragische Sujet hindurch, ehe es zu seinem unerbittlichen Höhepunkt kommt. Dabei zeigen die Berliner Philharmoniker, dass die wahre Tragik in feinen Akzenten meist bestechender zum Ausdruck kommt denn in übergroßem Pathos.
„Der Klang ist so magisch, dass die Leute hier wie versteinert waren“, schrieb Karol Szymanowski einst an den Geiger Paweł Kochański über sein Konzert für Violine und Orchester Nr. 1. Ebenso fasziniert lauscht an diesem Abend auch das Publikum dem Zusammenspiel zwischen Lisa Batiashvili und den Berliner Philharmonikern. Mal fein-gleißend, dann zart-süß, der nuancenreiche Ton der georgischen Geigerin vermag zu verzaubern. Dabei setzen Batiashvili und Petrenko eher auf aquarellierte Leichtigkeit, denn breiten Pinselstrich. Stets scheint die Welt dahinter wie ein helles Licht durchzuscheinen durch Szymanowskis fesselnden Klangreichtum.

Doch auch die starken Farben scheuen Orchester und Solistin nicht. Mesmerisierend führen sie durch die Klangwelten des Komponisten, schaffen fast unmerkliche Übergänge von Ekstase zu Angst, von massiven Höhepunkten zu schelmischen Passagen. So ist Szymanowskis Erstes Violinkonzert eine noch auslotendere Achterbahnfahrt der Gefühle als gewohnt. Mühelos scheint Batiashvili dabei über dem Orchesterklang zu schweben, weiß sich aber auch zurückzunehmen und bei den Berliner Philharmonikern, bei denen die Artist in Residence dieser Saison auch schon als Konzertmeisterin am ersten Pult saß, einzuordnen. Wohl selten hat man dieses Violinkonzert spannender gehört.
Wenn Szymanowski ein Aquarell ist, dann ist Strauss ein Ölgemälde. Insbesondere seine Sinfonia domestica, dem äußerst klanggewaltigen Familienportrait über Richard, Pauline und Sohn „Bubi“; Verwandtenbesuch, Liebesleben, Ehestreit und schließlich Versöhnung. Doch auch hier verweigert sich Kirill Petrenko übergroßem Pathos. Klanggewaltig, plakativ im Kontrast, und doch fein seziert: Statt auf Brechstangenwitz setzt der Dirigent auf filigran humoreske Spitzen.
Ohne Scheu vor Risiko im einzelnen Moment werden die langen, umspannenden Linien betont. Immer wieder gibt Petrenko Raum für einzelne Instrumentengruppen, staffelt den Klang fein. So geraten die (Achtung: doppelter Wortsinn) Höhepunkte nie lärmend, immer wieder scheint Verschmitztheit durchzuscheinen. Einzelne Details leuchten auf, verschwinden wieder. Insbesondere die Holzbläser beweisen ihre unvergleichliche Brillanz und Konzertmeister Daishin Kashimoto zeigt in seinen Soli intime Noblesse. An diesem Abend ist die Sinfonia domestica eher eine Homage an die klangliche Verlockungskunst denn ein Heldenselbstporträt. Das Licht tut diesem Klangölgemälde gut.