Julia Fischer hier, Julia Fischer dort: Ihr Bild ziert die Website, die Plakate und das Programmbuch. Die berühmte deutsche Geigerin ist das Aushängeschild des diesjährigen Gstaad Menuhin Festivals. In vier Darbietungen demonstriert sie die beeindruckende Fülle ihrer unterschiedlichen Rollen – Kammermusikerin, Sologeigerin, Orchesterleiterin und Pianistin (!). Dass gerade die Kammermusik, trotz ihrem Renommée als Solistin, eine Stärke Fischers ist, zeigte sie in ihrem Duoabend in der altehrwürdigen Kirche von Zweisimmen.

Mit von der Partie war die russische Pianistin Yulianna Avdeeva. Nachdem sie 2010 den Internationalen Chopin-Wettbewerb gewonnen hat, ist auch sie eine gefeierte Solistin und Kammermusikerin. Zwei Frauen also im gleichen Alter, mit einem ähnlichen Temperament und einer ausgeprägten Lust am gemeinsamen Musizieren. Was dabei musikalisch herausschauen kann, zeigt sich gleich beim ersten Stück, Beethovens Violinsonate Nr. 1 in D-Dur, Op.12 Nr.1.
Der eingebürgerte Name „Violinsonate” ist eigentlich falsch, denn der Komponist nannte das Werk „Sonate für Klavier und Violine”. Dies weist darauf hin, dass das Klavier eben nicht das begleitende, sondern das führende oder zumindest gleichberechtigte Instrument ist. Beethoven verteilt das melodische Material zu gleichen Teilen auf die Violine und die rechte Hand des Klaviers. Die dialogisierende Interpretation der beiden Musikerinnen bestätigt diesen Befund auf das Schönste. Die Kunst des zeitweiligen Zurücktretens, die nicht alle Sologeiger gleichermassen beherrschen, gehört mit zu den Qualitäten von Julia Fischers Kammermusikspiel.
Um ein effektvolles Stück handelt es sich bei Aram Khachaturians Violinsonate Nr. 1, entstanden im Jahr 1932. Sie bietet alles, was nötig ist, um das extravertierte Temperament der beiden Musikerinnen im Scheinwerferlicht erstrahlen zulassen. Da gibt es das Hochvirtuose, das Grosssprecherische, das rhythmisch Akzentuierte, das Folkloristische und nicht zuletzt je eine Kadenz für beide Instrumente. Hinreissend! Bei Eugène Ysaÿes Andante für Violine und Klavier Op. posth. ist dann die Geige klar das führende Instrument. Bei dieser emotionalen und melodiegeprägten Musik kommen Fischers solistische Qualitäten voll zum Zuge. Ihrer Guadagini-Violine entlockt sie eine Fülle von Klängen, die vom zärtlichsten Streicheln bis zum wonnevollen Auskosten reichen. Melodie, alles Melodie!
Wieder auf Augenhöhe musizieren Fischer und Avdeeva in César Francks Violinsonate in A-Dur, dem Hauptstück des Abends. Franck war ja, wie Beethoven, ein Tastenmensch, und so verwundert es nicht, dass auch seine Violinsonate eine „Sonate für Klavier und Violine” ist. Ihre vier Sätze folgen einer eher ungewöhnlichen Idee, folgen doch die Rahmensätze einem ausgesprochen melodischen und formal strengen Prinzip, während die Binnensätze in Form und Ausdruck freier gestaltet sind. Überdies sind die Sätze durch ein gemeinsames musikalisches Motto verbunden.
Den kantablen Charakter des Allegretto ben moderato bringt das Duo zur Geltung, indem es die die Melodien wellenartig zum An- und Abschwellen bringt. Wild und leidenschaftlich geraten die Hauptteile des Allegro, während verschiedene retardierende Elemente immer wieder für Überraschungen sorgen. Der originelle Satz Recitativo-Fantasia entwickelt sich beeindruckend von einem anfänglichen Nebeneinander der Instrumente zu einem versöhnlichen Miteinander.
Das abschliessende Allegretto poco mosso betont noch einmal den dialogischen Charakter, indem das Hauptthema als Kanon zwischen Klavier und Violine geführt wird. Die Interpretinnen harmonieren auch hier in berührender Weise, so dass man denken könnte, sie würden nichts Anderes tun, als miteinander Kammermusik zu spielen. Für den grossen Applaus bedanken sie sich mit dem Scherzo Frei aber einsam von Johannes Brahms.
Die Hotelkosten von Thomas Schacher wurden vom Gstaad Menuhin Festival übernommen.