Innerhalb von exakt zwölf Monaten wird sich im nicht gerade kuriositätenarmen Köln musikbetrieblich recht Bemerkenswertes zutragen: Während die Oper Köln im Staatenhaus aktuell Monteverdis L'incoronazione di Poppea unter der Regie Ted Huffmans aus Aix-en-Provence (2022) mit ihrem Hausensemble, dem Gürzenich-Orchester Köln und daher notwendigerweise zusätzlichen Barockspezialistengästen für das Continuo, adaptiert, stellt die Philharmonie nächsten Mai die Poppea konzertant mit der Cappella Mediterranea auf die Bühne. Just der Instrumentalgruppe der Premiere in Frankreich sowie der weiteren Koproduktionen dieser Inszenierung.

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L'incoronazione di Poppea
© Matthias Jung

Wenngleich sich die natürliche Diskrepanz zwischen den historischen Instrumenten zu den modernen Streichern des Gürzenich-Orchesters nicht leugnen lässt, brachte George Petrou die unterschiedlichen Farben im Tutti der ritornellig-tänzerischen Prä- und Interludien durch disziplinierte Phrasierung jedenfalls ziemlich gut zusammen. Hauptakteur ist ohnehin das alleinige Continuo, das in Petrous gewohnt dramatischem Interpretationsmuster sowohl als knackig-spritziger als auch durch die Möglichkeiten der Instrumente als leuchtender oder gedimmt-intimer Gestalter kontraststarker, affektverbreitender Klänge Monteverdis revolutionärer wie herrlich melodiöser Ergüsse agierte.

Neben eingangs beobachteten Besetzungsäußerlichkeiten geschah aber auch in Huffmans Inszenierung an sich Erstaunliches, transportierte sie jeden Widerspruch Busenellos Figuren tatsächlich, wie vom Regisseur erfasst und nicht künstlich gewollt zu anderen Deutungen beabsichtigt, in die situative und generelle Selbstreflexion des Zuschauers, ob man dem sittenverfallenden Treiben nicht ebenso gleichgültig oder allzu oft mit dem Überbordwerfen vorgehaltener Idealmotive und Vernunft begegnete. Dabei waren die Sänger Darsteller Amors Spiels und seines Gefallens an eigener Sex-Crime-und-Comedy-Drehbuchisierung, die die Szenen der gerade Handelnden regungslos beäugten.

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Laurence Kilsby, Nicolò Balducci, John Heuzenroeder, Lucas Singer, Armando Elizondo
© Matthias Jung

Dafür nahmen sie entweder auf der Einwechselbank des mittigen riesigen weißen Rechtecks der ansonsten gänzlich schwarzen Bühnenwand oder auf beziehungsweise neben Stühlen der nur mit einer Kleiderstange für die Kostümtausche und im Verlauf mit Tischen drappierten, funktionalen und zeitlosen Theaterfundamente Platz. Über ihnen hing wie ein Damoklesschwert oder kreiste wie ein moralisches, poliges Pendel eine große Röhre, halb weiß, halb schwarz gestrichen, die vom Brett vor dem Kopf im göttlich-allegorischen Prolog zum unentschiedenen Gradmesser der Werte im menschlichen Kampf um Haltung, Anstand, Gelüste, Machterhalt und Aufstieg, zum verschwimmenden Symbol von Gut und Böse wurde. Alles unterstützt durch schlichte wie wirkungsvoll grelle Lichtwechsel Bertrand Coudercs.

Optisch außerdem darauf ausgerichtet, wenn nicht zufällig, der Größenunterschied zwischen körperkleinerem Nerone, den Nicolò Balducci seine ausdauernd sopranregisterlich-countertenorale, verständliche, bewegliche Affektbündel-Stimme verlieh, und sehr schlaksigem Seneca, dem kaiserlichen Berater, der mit Lucas Singers weiser Gewandtheit und überragend-fabelhafter Bassstatur dem impulsiven, trotzigen, lustbesessenen Despoten bis zum verordneten Tod Paroli bot.

Doch vermengt sich ja schon in dieser scheinbar offensichtlichen Gegenüberstellung die Reinheit des Kompasses, der einerseits zugleich mit der Abscheu des makabren Totentanzes ausschlägt, welcher sofort in den Dreier Nerones und Poppeas mit Lucano mündet, in dem Laurence Kilsbys mit hervorragender Artikulation gebändigter warmer und scharf-schneidiger Temperamentstenor – wie als Soldat zuvor – starken Eindruck hinterließ; und der andererseits mit den weiteren mahnenden Ehreinflüsterungen in persona der buffonesken Arnalta und Nutrice die Frage der Heuchelei oder nachvollziehbaren identifiziell-egoistischen Doppelseitigkeit verdeutlicht. Publikumsliebling John Heuzenroeder spielte die Ammen der Herrscherdamen mit bekannt großer Lust am Grotesken und sang sie mit streng quäkender, tugendwächtiger Nervigkeit, um im Angesicht der Selbsthingabe ausgemachten Frevels auf „normale“ Opportunistenlinie zu schwenken, eben auch ein wahres Gesicht zu zeigen.

Nicolò Balducci (Nerone) und Tamara Banješević (Poppea) © Matthias Jung
Nicolò Balducci (Nerone) und Tamara Banješević (Poppea)
© Matthias Jung

Würdig und dennoch zu mörderischen Mitteln greifend verhält sich Ottavia, Nerones verstoßene Gemahlin, die – bei dem verrückten Mann ganz gut damit bedient – in der Verbannung landet, weil sie wegen hehrer Prinzipien von Heimat und Familie doch solche auch für Ruhm, Verblendung und Anstiften anderer opfert. Das innere, affektvolle Ausfechten war bei Adriana Bastidas-Gamboas fülligerem, etwas stilfremderen Mezzo präsent und bewegend aufgehoben. Die Verbannung trifft gleichfalls Ottone und Drusilla, er trotz schulkindlich-streberhaften Bemühens sowie tugendlichen, rührigen, empathischen Versicherns und Bedenkens nicht immer so ein Bübchen von Traurigkeit, wie es scheint. Sie eine aufs – dies zumindest schnell antizipierend – Glück Versessene, die naiv Gehilfin im Mordversuch auf Poppea wird. Jedoch finden sie schließlich außerhalb Roms und monetärer Sicherheiten ihren zueinander passenden Reichtum der Liebe, den Alberto Miguélez Ruoco mit elegantem, altregisterlichem Counter, Carlotta Colombo mit deutlichstem, stilistisch klarstem, angeweichtem Sopran besingt.

Sowohl Poppeas aus Lustcharakter strömende erotische Dominanz als auch aus Charakterlust erwachsene Machtgier, die mit Nerone einfach fertigwerden soll – das Schicksal wird es irgendwann zeigen –, verkörperte Tamara Banješević mit solchem Sexappeal, dass dieser über manch zu ausladende Töne im Affektforte hinweghören half, um ansonsten ein ganz überwiegend stimmiges und vor allem immer reizend-farbwuchtiges Einlassen auf den Barockstil und Nerones Art an den Tag zu legen. Eine gelungene Poppea, die mit sofortigen stehenden Ovationen quittiert wurde.

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