Das Jahr 2024 startete für die Wiener Symphoniker und ihre erste Gastdirigentin Marie Jacquot mit einer Tour durch die Bundesländer; im Zuge dessen legten sie zwei Stopps im Grazer Stefaniensaal ein und hatten dabei ein Programm im Gepäck, das einen dramaturgischen Bogen von wenig Bekanntem über einen wahren Klassiker bis hin zu einem spannenden Frühwerk spannte und das Publikum in vielfältige Klangwelten entführte.

Marie Jacquot © David Payr
Marie Jacquot
© David Payr

Den Auftakt machte dabei ein heutzutage relativ unbekannter Komponist, der zu Lebzeiten aber als große Zukunftshoffnung unter den russischen Komponisten galt: Anatoly Lyadov hätte nämlich eigentlich die Musik zum Ballett Der Feuervogel schreiben sollen, da er aber Zeit seines Lebens durch eine ungünstige Kombination aus Bequemlichkeit und Perfektionismus trotz großem Talent nur wenige Werke vollendete oder gar nicht erst anfing, wurde ihm der Auftrag kurzerhand wieder entzogen. Tatsächlich fertiggestellt hatte er allerdings 1908 die kurze symphonische Dichtung Der verzauberte See, die nun dank der fein ziselierten Interpretation der Wiener Symphoniker im Stefaniensaal eine mystisch schillernde Märchenwelt vor dem inneren Auge entstehen ließ. Marie Jacquot hielt das Orchester dabei zu düsteren Farben und gedämpfter Dynamik an und durch den Einsatz der Celesta schien der klanglich gemalte See wie durch Zauberhand zu funkeln zu beginnen, erhielt aber gleichzeitig auch eine bedrohliche Komponente durch die Streicher, die dem ruhigen, aber dunklen Wasser, Charakter verliehen und dabei weniger an ein harmloses Märchen aus dem Hause Disney denken ließen, sondern mehr die oft ziemlich grausame Welt der traditionellen slawischen Märchen heraufbeschwor.

Ein Klassiker des Konzertrepertoires stand danach mit Felix Mendelssohn Bartholdys Violinkonzert in e-Moll am Programm des Abends. Als Solist kam Dalibor Karvay, erster Konzertmeister der Wiener Symphoniker, zum Zug und diese Entscheidung erwies sich als spannender Schachzug, denn eine so selbstverständlich präzise Abstimmung zwischen Orchester und Solovioline hört man selten. Jacquot hielt die Musiker dazu an, dem Solisten einen zurückhaltenden Klangteppich zu bereiten, wobei ein bisschen mehr Pfiffigkeit bzw. ausladendere Dynamik dann und wann nicht geschadet hätten, um der Interpretation mehr an Profil zu verleihen. Ähnliches erging es Karvay, der zwar alle Klippen des Stücks mit müheloser Leichtigkeit meisterte und seine Geige mal flott und elegant durch Arpeggien tänzeln ließ, um dann wieder ausladende Lyrik zu bieten – aber auch wenn die technische Perfektion beeindruckend war, fehlte es der Interpretation des Solisten an diesem Abend an Seele bzw. Charme, denn zwischen all der Virtuosität blieben das Gefühl und das Schmachten der Romantik auf der Strecke.

Im Alter von nur 15 Jahren komponierte Erich Wolfgang Korngold seine Sinfonietta in H-Dur, wobei diese Verniedlichungsform angesichts der Spieldauer von gut 40 Minuten beinahe kokett wirkt. Nach der Pause bestachen die Symphoniker mit transparentem Klang und differenzierten Farben sowie großem Detailreichtum; und auch am Dirigentenpult schien Jacquot nun mehr in ihrem Element angekommen zu sein. Gemeinsam mit dem Orchester malte sie ausladende Klangwelten in den Saal, ließ die Musik etwa im Scherzo energisch aufwallen und dann im dritten Satz elegant schweben und insbesondere die Streicher konnten farbreiche Akzente voll Poesie setzen. Dabei war es nicht nur faszinierend, über welche Virtuosität Korngold schon als Teenager beim Komponieren verfügte, in diesem Frühwerk sind auch bereits deutliche Anklänge an seine Zukunft als Filmmusikkomponist zu hören – die Sinfonietta hätte an diesem Abend nämlich auch der Soundtrack eines aktuellen Hollywood Blockbusters sein können. 

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