In ihrer letzten Saison als Intendantin der Oper Graz holt Nora Schmid nun noch alle den Corona-Lockdowns zum Opfer gefallenen Produktionen nach und so gibt es mit zwei Saisonen Verspätung endlich Giacomo Puccinis Madama Butterfly zu sehen. Regisseur Floris Visser nähert sich der Geschichte dabei aus einer ungewohnten Perspektive: Bei einem Museumsbesuch mit seinen Eltern erinnert sich der mittlerweile erwachsene Sohn von Cio-Cio-San (eindringlich verkörpert von Schauspieler Stephan Offenbacher) an seine leibliche Mutter. Aus seinen eigenen Erinnerungsfetzen und Erzählungen des Vaters entspinnt sich die Handlung. Der Museumsraum weitet sich, Ausstellungsstücke werden zu Requisiten der Vergangenheit und die ganze Familie Pinkerton muss sich ihrer Geschichte stellen.

Mareike Jankowski, Mykhailo Malafii, Marjukka Tepponen und Elisabeth Pratscher
© Werner Kmetitsch

Diese Interpretation funktioniert außerordentlich gut; und auch wenn sie manchmal verdammt nahe dran ist am Kitsch – zum Beispiel wenn im Intermezzo zwischen zweitem und drittem Akt Familienidylle im Museum gespielt wird und Cio-Cio-San ihren erwachsenen Sohn umarmt – ist die Inszenierung trotzdem (oder gerade deswegen!) effektvoll. Überhaupt ist es ein Abend der starken Bilder, die mit Ästhetik und Symbolik bestechen, etwa in Form eines riesigen Schmetterlings und einer Nadel, die während des Duetts vom Schnürboden schweben. Darüber hinaus ist die Personenführung psychologisch ausgefeilt: So wirkt der erste Akt nicht wie eine kitschige Japanidylle, sondern führt unmissverständlich vor Augen, dass sich hier ein egozentrischer Mann aus einer Laune heraus einen Teenager als Braut kauft und sich keinesfalls für die lokale Kultur oder Gepflogenheiten interessiert; und auch im zweiten Akt wird man von der Personenführung positiv überrascht, denn diese Madama Butterfly ist kein verklärt und naiv wartendes Opfer, sondern eine verzweifelte Frau mit starker Persönlichkeit. Dass sich außerdem während des dritten Akts der Hass des erwachsenen Sohnes auf seinen eigenen Vater so sehr steigert, dass er ihn vor dem Fallen des Vorhangs sogar mit Butterflys Suizid-Schwert bedroht, fügt der ohnehin schon tragischen Geschichte noch eine weitere dramatische Facette hinzu.

Marjukka Tepponen (Cio-Cio-San)
© Werner Kmetitsch

Eine beeindruckende Leistung lieferte Marjukka Tepponen in der Titelrolle ab, auch wenn im ersten Akt noch nicht jeder Spitzenton und jedes Piano ganz gelingen wollten. Wie sie dann aber im zweiten und dritten Akt die zunehmende Verzweiflung von Cio-Cio-San gestaltete – sowohl darstellerisch als auch stimmlich! – war großes Kino. Ihr silbrig timbrierter Sopran schwang sich dabei selbst in den dramatischsten Momenten mühelos über die Orchesterwogen auf, strahlte in einer breiten Palette an Klangfarben und vermittelte von Zuversicht über Wut bis hin zu Enttäuschung und Hoffnungslosigkeit alle Facetten des Charakters.

Marjukka Tepponen (Cio-Cio-San) und Mareike Jankowski (Suzuki)
© Werner Kmetitsch

Weniger bleibenden Eindruck konnte an ihrer Seite leider Mykhailo Malafii hinterlassen, der den Pinkerton zwar in der Mittellage mit angenehmem Schmelz ausstattete, aber immer wieder an seine vokalen Grenzen stieß: einerseits mühte er sich hörbar mit den Höhen, bei denen die Stimme häufig in die Kehle rutschte und eng wurde; andererseits mangelte es ihm am nötigen Volumen um Puccinis Klangbögen gerecht zu werden.

Mareike Jankowski (Suzuki), Mykhailo Malafii (Pinkerton) und Marjukka Tepponen (Cio-Cio-San)
© Werner Kmetitsch

Eine ideale Suzuki verkörperte wiederum Mareike Jankowski, die darstellerisch mit zurückhaltender Noblesse bestach, aber stimmlich aus dem Vollen schöpfte. Ihr samtiger Mezzosopran ist dunkelrot schimmernd timbriert, elegant geführt und schmiegte sich regelrecht an Puccinis Partitur. Ebenfalls ein vokaler Hochgenuss war der Sharpless von Neven Crnic; er stattete den Konsul mit der richtigen Mischung aus kolonialistischer Gleichgültigkeit und menschlicher Betroffenheit aus und schaffte es, diese beiden Aspekte auch durch eine Vielfalt an klanglichen Nuancen und Farben auszudrücken. Aufgrund einer Erkrankung im Ensemble übernahm Chor-Mitglied Hana Batinić kurzfristig die Rolle der Kate Pinkerton, die zwar wenig zu singen, aber in dieser Inszenierung darstellerisch viel zu tun hat, und rettete somit die Vorstellung. Einen eitlen Fürsten Yamadori gab Martin Fournier, wobei er stimmlich nahezu völlig im Orchesterklang unterging; mehr vokale Autorität verströmte da schon Daeho Kim als polternder Onkel Bonzo. Manuel von Senden legte den Heiratsvermittler Goro als schmierigen Strizzi an, wobei er dessen zwielichtigen Charakter auch vokal überzeugend vermittelte.

Marjukka Tepponen (Cio-Cio-San)
© Werner Kmetitsch

Neben den Solisten sorgte der wie immer exzellent singende Chor mit wunderbar sanft schwebendem Klang auf der Bühne für Gänsehautmomente und aus dem Orchestergraben kam genau die richtige Mischung aus Puccini-Pathos und Verismo-Rohheit. Unter der Leitung von Gábor Káli liefen die Grazer Philharmoniker an diesem Abend zur Hochform auf, die Musik glühte und schillerte in intensiven Farben. Von zarten Piani bis hin zu großer Dramatik blieb der gestalterische Spannungsbogen im Orchester stets stringent und voll tiefempfundener Emotion.

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