Man soll aufhören, wenn‘s am Besten ist. Gemäß dieser Maxime entschied sich Sabine Meyer, ihre unvergleichliche Bühnen-Karriere im Jahr 2025 zu beenden. Dass sie auf dem Zenit ihrer künstlerischen Reife ist, bewies Sabine Meyer eindrucksvoll anlässlich des ersten ihrer beiden Münchner Abschiedskonzerte im Prinzregententheater, neben dem Herkulessaal ihre Lieblingsspielstätte in der bayerischen Landeshauptstadt. Mehr als 70 Mal hat sie in München gastiert, und hier begann auch ihre professionelle Laufbahn beim BRSO. Es folgte eine beispiellose Karriere, die in vielen Belangen Maßstäbe setzte.

Was Sabine Meyer erreicht hat, ist in vielerlei Hinsicht „unerhört”. Als eine der ersten Frauen wurde sie Soloklarinettistin der Berliner Philharmoniker, nur um kurze Zeit später die Klarinette als Soloinstrument in der internationalen Klassik-Szene salonfähig zu machen. Sie setzte sich für zeitgenössische Musik ein, interpretierte aber auch die großen Klassiker ihres Instruments neu. So spielte sie das Klarinettenkonzert von W.A. Mozart mit der Bassettklarinette und verhalf damit der in der Partitur angelegten zweiten Klarinetten-Stimme zu nie gehörtem Glanz.
Die von ihr gespielten Instrumente gestaltete sie mit und nutzt vor allem in der Kammermusik eine aus lange abgelagertem Buchsbaumholz gefertigte Klarinette, von der Meyer sagt, dass sie einen besonderen Schmelz hat, der sich weich und organisch in den Streicherklang einfügt. Die Kammermusik mit Streichern ist schließlich die Königsklasse des Klarinetten-Repertoires. Und hier wiederum stehen ganz oben die beiden Streichquintette von Mozart und Brahms. Welch ein Glück, diese beiden Juwelen an einem Abend genießen zu dürfen, interpretiert von der Königin der Klarinette zusammen mit dem grandiosen Armida-Quartett. Nach ihrem Sensations-Sieg beim ARD Musikwettbewerb 2021, bei dem sie neben dem ersten Platz und dem Publikumspreis noch sechs weiteren Sonderpreise errungen hatten, betraten die vier Künstler*innen genau wie Sabine Meyer immer wieder neue musikalische Pfade und kooperieren seit 2016 mit dem Henle Verlag für eine Neuedition sämtlicher Mozart-Quartette; begleitet von einer Neuaufnahme, welche Klassik Heute als wegweisend für die Mozart-Interpretation im 21. Jahrhundert bezeichnet hat.
Das Armida-Quartett spielt schnörkellos und historisch informiert. So war es folgerichtig und erhellend, zu Beginn Contrapunctus I, IV und XI aus der Die Kunst der Fuge, BWV1080 von J.S.Bach zu hören. Die schlichte und glasklare Klanggestaltung gepaart mit präzise kalibrierter Artikulation und kluger Phrasierung ließ die komplex-polyphone Kontrapunktik erblühen. Was bei Bach auch auf Stahlseiten mit modern verstärkten Instrumenten funktioniert, kann bei Mozart stellenweise etwas harsch und fahl klingen, und zwar besonders, wenn sich zum klirrenden Quartettklang der Samt-Gesang der Klarinette Meyers gesellt.
Das Armida-Quartett überraschte mit teils unorthodoxen Strichen, die zu spannenden neuen Klangerlebnissen führten. Außerordentlich präzise und mit langem Atmen spielten alle Fünf, und Cellist Peter-Philipp Staemmler vermittelte feinfühlig zwischen Klarinette und Streichern. Wer in der Pause an der Bühne entlangflanierte, sah, dass neben den Tablets der Quartett-Musiker auf dem Notenpult Meyers vergilbte Notenblätter lagen, abgegriffen und an den Rändern abgewetzt von hunderten Proben und Aufführungen, fast wie ein Museumsstück. Alles andere als museal aber war, was Meyer aus der Partitur holte: Sie spielte zeitlos schön, Ästhetik für die Ewigkeit.
Das Klarinettenquintett in h-moll, Op.115 von Johannes Brahms ist gleichermaßen an Schönheit nicht zu überbieten. Ist der Kopfsatz noch ein ausbalancierter Zwiegesang der Streicher und der Klarinette mit grazil verflochtenen Melodien, so schuf Brahms mit dem dreiteiligen Adagio ein Kleinod, das zwischen kammermusikalischer Innigkeit und höchsten solistischen Anforderungen an die Klarinette changiert. Arpeggien mit enormer Virtuosität bis in die höchsten Register, die auf vielen Klarinetten kreischend klingen. Nicht so bei Meyer. Auch Primarius Martin Funda führte bis auf einige kleinere intonatorische Trübungen souverän durch die rhythmisch und harmonisch vertrackte Partitur und setzte sein versatiles Vibrato wohldosiert und höchst sensibel ein. Die Variationen des vierten Satzes waren vollendet klangschön und abwechslungsreich. Als dann der letzte weiche Klarinettenton erklang, da meinte man ein unmerkliches Zittern im Atem von Sabine Meyer zu vernehmen. Wie das Publikum war auch sie sichtlich bewegt und gerührt ob dieser herrlich gelungenen Vollendung ihrer einzigartigen Karriere.