In mehreren Artikeln internationaler Medien zu Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron taucht auffällig oft der Name Bertolt Brechts auf. Doch statt mit ihm die Vorliebe des Politikers für deutsche Kultur, Literatur und Sprache genauer zu erörtern, wird mit den Aphorismen des bedeutenden Lyrikers und Dramatikers die jeweils aktuelle politische Arbeit oder Lage aus Sicht der jeweiligen Verfasser beschrieben. Ausgerechnet Brecht, sitzen Macron heute die Kommunisten in der französischen Nationalversammlung tatsächlich im Nacken.

Philippe Herreweghe © Michiel Hendryckx
Philippe Herreweghe
© Michiel Hendryckx

Auch hier fallen diese beiden Namen also zusammen, übernahm Macron – gemeinsam mit EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen, nun zusätzlich mit Belgiens König Philippe und Deutschlands Bundespräsident Steinmeier – das Patronat über die Konzerte des Pariser Orchestre des Champs-Élysées Philippe Herreweghes mit dessen Collegium Vocale Gent. Hauptsächlich für die europäisch-identifikatorisch-kulturgüterigen Beethoven-9-Feierlichkeiten zum 200. Jubiläum 2024, die 2025 in der Philharmonie Essen und Liederhalle Stuttgart ihren Abschluss fanden. Und die sich im französisch republikanischen, europaweit konsensualen Wahlspruch von „Liberté, Egalité, Fraternité” niederschlagen. Solche aber, die Herreweghe „brüderlich“ und doch in Erscheinung wie als Europahymne mit mehrseitig kontrastierendem Interpretationsgedanken eben mit Hanns Eislers damals defätistisch-vorausblickender, nach dem Zweiten Weltkrieg und heute im Endeffekt antifreiheitsregimetragender Brecht-a-cappella-Kantate Gegen den Krieg kombinierte.

Deren 17-strophige Anklage, Appelle und proletarischen Mahnungen in klassisch gehaltener, sehr tonal wirkender Zwölftontechnik trug das 48-köpfige CVG nicht allein mit der ihm stets ausmachenden Verständlichkeit vor, sondern umso musikalisch zuträglicher zudem mit agiler Phrasierung, Dynamik und rhythmischer Definition. Und mit solch textbezogenem Dramatismus und Affekt, dass nebst arbeiteraufständischem Impetus die Waffe und Sirene des Wortes klingelte, als das provoziert-laute „Blut“ vom sachten, betrüblichen „Sie reden wieder von großen Zeiten“ abgelöst wurde. Oder als Bass Philipp Kaven in nachdrücklich stoischer Warnung die drei Versvariationen „Aber er/es hat einen Fehler“ sprach und die Alt-Bass-Stimmen in ausgewogener Balance Sopran und Tenor summend unterlegten, ehe die auf jetzige Zeit und Situation mit Erschütterung fallende links- wie rechtsextremistische Parole „Dieser Krieg ist nicht unser Krieg“ Eislers Chorwerk so kompakt beendete wie die Umsetzung des CVG.

Den dort gezeigten Elan nahm ab und zu tänzelnder, erfreut lächelnder und sich zu den antiphonen Violinen wiegender Herreweghe mit in eine konträr euphorisch gestimmte Neunte Beethovens, ebenso wie die passioniert-präzise Klarheit, mit der das OCE Stück und Orchestrierung umso deutlicher seinen utopisch-revolutionären Charakter entlockte. Ja, freilich hätte ich mir nach aufrührerisch dampfendem Kopfmouvement noch extravagantere Paukengeschossdetails im zweiten Satz und zum Festrauch in der Schlusscoda des dann im intrawerklichen und durchaus schnelltempobezogenen Vergleich nicht rasant genug abgesetzten Prestissimo-Odenfinales gewünscht, allerdings spiegelte Herreweghes Vorgehen hier seinen Wunsch nach möglichst allumfassender Homogenität und praktikabler Figurengenauigkeit im Gesamtklang wider.

Sopransolistin Eleanor Lyons forcierte beim von Herreweghe stilistisch angenehm gehaltenen Hymnen-Einstieg die Spitze im Gegensatz zu abgedämpftem Chor und ihren Kollegen etwas schärfer. Zu dieser Art ging das von Maria van Nieukerken einstudierte CVG danach zu meinem Verdutzen ein wenig über, genauso wie leicht vermissende Pianoqualität zu vormals hervorragender Dynamiksteuerung hinzukam. Gute Kontrolle legte Lyons dann aber zu „sanftem Flügel“ an den Tag, überzeugte Johannes Kammler mit kernig-warmem, phrasierungsschickem Bariton, dessen Eigenschaften Sophie Harmsens Mezzo teilte. Hatte Tenor Ilker Arcayürek besonders die „Freude“ gekonnt betont, stand diese auch dem Publikum in der Philharmonie Essen ob der insgesamt beeindruckenden Aufführung ins Gesicht geschrieben.

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