Eingeladen ins Abonnement des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks: in der Münchner Isarphilharmonie gastierten die Symphoniker aus dem fränkischen Bamberg. Jakub Hrůša und Sir Simon Rattle, die beiden Chefdirigenten, hatten diesen Austausch vor einiger Zeit verabredet, und schon das Gastspiel des BRSO im Oktober in der Bamberger Konzerthalle hatte ein volles Haus beschert. Nun punkteten die Bamberger unter Hrůša, selbst bereits höchst beliebt am Pult des BRSO, mit einer beziehungs- wie rätselreichen Programmfolge.

Jakub Hrůša dirigiert die Bamberger Symphoniker © BR | Astrid Ackermann
Jakub Hrůša dirigiert die Bamberger Symphoniker
© BR | Astrid Ackermann

Zu Beginn von Charles Ives, für seine collagenhafte Vielstimmigkeit berühmt, die kontemplative Komposition The unanswered question, ein Werk scheinbarer Gegensätze, in dem meditative Streicherklänge ein Grundmuster bilden für energiegeladene Figuren des Bläsersatzes, welche wie auskomponierte Fragen der Trompete und Antworten der Holzbläser zu verstehen sind, schnell emotionale Kraft aufbauten. Eine ungewöhnliche Verteilung im Raum hatte Hrůša ersonnen: ein Holzbläserquartett im Lichtspot auf dem Podium des abgedunkelten Saales, der Solotrompeter vom hinteren Balkon, zurückgenommene Streicher vom Band, seitlich durch eine halbgeöffnete Tür. Ein hageres, ja fast zu karges Klangbild, das die Konzentration umso drängender auf die letztlich offen bleibenden Aufklärungen von Flöten und Oboen lenkte. Und noch nicht einen finalen Verblüffungscoup verriet.

Die koreanische Geigerin Bomsori Kim, Preisträgerin des ARD-Wettbewerbs von 2013, wird die Bamberger demnächst auf einer Konzerttournee nach Japan und Südkorea begleiten. Neben dem bekannten Violinkonzert von Bruch wird sie dort auch Erich Wolfgang Korngolds Violinkonzert spielen, das erfreulicherweise bereits auf dem Münchner Programm stand. Korngold, der schon als 23-Jähriger mit der Oper Die tote Stadt einen Welterfolg landete, emigrierte 1934 in die USA und schaffte den Durchbruch als Filmkomponist in Hollywood. Auf thematischem Material von vier seiner früheren Filmpartituren basiert sein eher selten zu hörendes Violinkonzert.

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Bomsori Kim
© BR | Astrid Ackermann

Bereits im einleitenden Moderato nobile imponierte Bomsori Kim mit eleganter Tongebung und immenser Intensität, deren Unbedingtheit in ihrer anscheinend grenzenlosen Technik ebenso formgebend wie thematisch sinnstiftend wirkte. Im reich besetzten Orchestersatz fielen besonders Momente auf, in denen die Solistin mit dem Vibraphon Dialog führte. Sehr weich und in ihrer Artikulation schlank und wendig erklang die Romanze, ein wohlverstandenes Andante, dessen Intonation fern jeder Trübung überzeugte, in hohen Lagen fast immateriell klang. Wunderbar der Zwiegesang mit der Harfe, leidenschaftlicher Ausdruck über dichtem Streicherteppich, ein melodiös verhaltener Ausklang.

Als bacchantisches, die Grenzen gewohnter Virtuosität sprengendes Klangfest gestaltete sie das Allegro assai vivace, gerade auch mit stupendem körperlichem Aufbäumen, bei geradezu wahnwitzigen Häufungen von atemberaubenden Läufen, einem Vexierspiel aus Doppelgriffen, Pizzicato- oder Flageolett-Effekten. Den Orchesterpart spielten die Bamberger überbordend farbkräftig, entfalteten eine genießerisch verschwenderische Klangpracht in spätromantisch-nostalgischem Stil.

Mit Jakub Hrůša nähern sich die Bamberger Symphoniker langsam auch den Symphonien von Dmitri Schostakowitsch, und die Wahl der selten zu hörenden Elften beweist, dass sie nicht die flüssigere, leicht überzeugende musikalische Ausstrahlung der Sechsten etwa suchen, sondern der geschichtlichen Bedeutungsschwere des Petersburger Blutsonntags nachforschen, dessen Zoll Schostakowitsch 50 Jahre später auszumalen suchte. Der Untertitel „Das Jahr 1905” bezieht sich auf die Ereignisse im Winters dieses Jahres, in dem für bessere Lebensumstände demonstrierende Menschenmassen vor dem Winterpalast des Zaren von der Polizei massakriert wurden.

Eigentlich wechseln sich nur zwei Ausdruckscharaktere ab in den monolithischen Sätzen: düster brütende Stille wie im Adagio des ausgedehnten Kopfsatzes und schwerblütiges Allegro zwischen Brutalität und Verzweiflung schwankender Aggression. Ein klares Bildprogramm durchzieht die vier Sätze: die angespannte Atmosphäre vor dem Zarenpalast, Konfrontation zwischen Volk und Militär, Trauer um die Toten und Blick in die Zukunft, bei dem Schostakowitsch durchaus das Leid des Ungarn-Aufstands von 1956 thematisiert haben mag.

Hrůša wählte einen extremen Interpretationsansatz mit sehr breiten Tempi, die den Fluss gelegentlich fast zum Stehen brachten. Nüchtern und nur angesichts des unvorstellbaren Leids emotional erklang der Kopfsatz von derart atemloser Spannung. Die Massakerszene im zweiten Satz ereignete sich in barbarischer Wucht, mit fast physischer Qual, eingefärbt von sadistischen Posaunenglissandi. Aus Trommelwirbel startete die gespenstische Streicherfuge, deren Coda die Celesta gläsern unwirklich erscheinende Harmonien aufsetzte. Die Totenklage dann als wunderbarer Pizzicato-Gesang der Bässe, anrührender Melodie des Englischhorns; Tamtam und Glocken beendeten die wild pumpende Rhythmik der famosen Bamberger. Langsames Ausblenden der Saalbeleuchtung, und aus dem Nachhall der Symphonie ließ Hrůša überraschend nochmals Ives' Unanswered Question erwachsen, eine Mahnung, wie übergreifend Unterdrückung immer wieder stattfindet. Erschütterung, Gänsehautmomente und frenetischer Beifall!

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