Seit ihrer Premiere im Jahr 2007 ist Andrei Serbans Inszenierung von Jules Massenets Manon ein Fixpunkt des Repertoirebetriebs der Wiener Staatsoper. Die Inszenierung tut großteils immer noch was sie soll, wenn sie auch nicht viel mehr als eine Illustration der Geschichte ist, die oftmals blass bleibt und außerdem vor Logiklöchern strotzt, sodass man nicht umhin kommt, sich permanent Fragen zu stellen: Warum nimmt Manon am Bahnhof ihren Koffer nicht mit? Weshalb können sich Manon und Des Grieux nur ein Weinglas leisten, beschäftigen aber eine Hausdame? Wieso sind im Priesterseminar Saint Sulpice Nonnen in den privaten Gemächern von Des Grieux? Wie gelingt es, Manon aus der Gefangenschaft zu befreien, während alle anderen ihren Marsch fortsetzen müssen? Immerhin wurde für diese Serie an Vorstellungen aber ganz offensichtlich auch szenisch geprobt, denn die Personenregie scheint im Vergleich zu den letzten Jahren wieder deutlich aufgefrischt zu sein.

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Vittorio Grigolo (Chevalier Des Grieux) und Kristina Mkhitaryan (Manon Lescaut)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Ihr Debüt in der Titelrolle feierte in dieser Vorstellungsserie Kristina Mkhitaryan. Die nahbaren, charmanten Facetten des Charakters scheinen ihr dabei (sowohl stimmlich als auch darstellerisch!) weitaus mehr zu liegen als die vergnügungssüchtigen, skrupellosen Züge – uneingeschränkt überzeugen konnte sie nämlich vor allem dann, wenn es darum ging, wahrhafte Emotion zu vermitteln. Denn während sie sich zum Beispiel mit feinsten Piani und wehmütigen Farben in der Stimme ergreifend von ihrem kleinen Tischchen verabschiedete, hatte die Stimme in ihrer Arie im dritten Akt etwas zu wenig Glanz und Strahlkraft, um ein packendes Feuerwerk an Lebensfreude zu zünden, nur um gleich darauf in der Saint-Sulpice-Szene wieder mit glühender Leidenschaft ihren ebenmäßig geführten Sopran lodern zu lassen.

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Kristina Mkhitaryan (Manon Lescaut)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Mit viel Pathos schmachtete und litt sich Vittorio Grigolo als Chevalier Des Grieux durch den Abend und bot dabei die von ihm gewohnte Kombination aus großer Operngestik und vokalem Schmelz. Dabei überzeugte er einerseits in den dramatischen Momenten, in denen er seinen Tenor ebenso kraftvoll wie farbenreich strahlen ließ und andererseits auch in den sanften Passagen, in denen er die Stimme elegant zurücknahm. Was dem Abend letztlich aber wirklich das besondere Etwas verlieh, war die stimmliche und darstellerische Chemie zwischen Mkhitaryan und Grigolo, die ganz wunderbar harmonierten und insbesondere in der szenisch reduzierten Schlussszene mit ergreifender Gestaltung für Gänsehaut und sogar die ein oder andere Träne sorgten.

Kristina Mkhitaryan (Manon Lescaut) und Vittorio Grigolo (Chevalier Des Grieux) © Wiener Staatsoper | Michael Pöhn
Kristina Mkhitaryan (Manon Lescaut) und Vittorio Grigolo (Chevalier Des Grieux)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Mattia Olivieri brachte einen kraftstrotzenden Lescaut voll jugendlicher Frische auf die Bühne und verlieh dem Charakter mit präzise geführtem Bariton und feinen Schattierungen der Klangfarben Profil. Dabei gelang es ihm, diesen zuweilen doch etwas zwielichtigen Soldaten sympathisch wirken zu lassen, wozu neben dem karamelligen Timbre seiner Stimme auch die differenzierte Darstellung das ihre tat. Den Graf Des Grieux gab Dan Paul Dumitrescu mit Ehrfurcht gebietender Bühnenpräsenz und warm timbriertem Bass, der gleichermaßen Eleganz und Würde aber auch väterliches Verständnis verströmte; und auch in seiner Darstellung setzte sich diese Interpretation einer unaufgeregten Vaterfigur fort.

Als selbstgefälligen Typen, der sich permanent lächerlich macht, ohne es aber je zu selber zu bemerken, legte Thomas Ebenstein den Guillot de Morfontaine an und sorgte damit für heitere Buffo-Momente. Interessant erwies sich die Entscheidung von Martin Häßler, den Brétigny mit seinem elegant geführten Bass-Bariton nicht als unangenehm übergriffigen Geldsack zu gestalten, sondern als charmanten Mann, der für Manon auch unabhängig von jeglichem Reichtum eine nachvollziehbare Wahl wäre.

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Alma Neuhaus (Javotte), Mattia Olivieri (Lescaut) und Teresa Sales Rebordão (Rosette)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Warum Teile des (hervorragend singenden) Chors durch die Regie im Orchestergraben platziert werden, während auf der Bühne Pappfiguren herumstehen, ist auch knapp 20 Jahre nach der Premiere dieser Produktion noch ein Rätsel; ebenso wie die starke Überzeichnung von Javotte, Pousette und Rosette, die sich entweder übertrieben schrill verhalten müssen oder ohne erkennbaren Grund mehrmals von einer Seite der Bühne zur anderen gehen müssen. Immerhin stimmlich boten die drei Rollen dank der klangschönen Gestaltung durch Alma Neuhaus, Ileana Tonca und Teresa Sales Rebordão Grund zur Freude.

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Vittorio Grigolo (Chevalier Des Grieux) und Kristina Mkhitaryan (Manon Lescaut)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Unter der Leitung von Emmanuel Villaume erweckte das Orchester der Wiener Staatsoper jede einzelne Szene klanglich zu vollem Leben; sie ließen rein durch die Musik das hektische Treiben des Bahnhofs ebenso vor dem inneren Auge entstehen wie die kühle Ruhe eines alten Kirchengebäudes oder das aufregende Flirren des Casinos. Dabei kamen kleinste Details der Partitur wunderbar zur Geltung, denn der Dirigent achtete auf feine Differenzierung, sodass der Gesamtklang zwar durch Üppigkeit bestach, aber dabei dennoch transparent blieb. Und in den entscheidenden Momenten wurden von Villaume und dem Orchester dann auch noch die ganz großen Emotionsfarben ausgepackt: etwa in Form von rot glühender Leidenschaft in Saint Sulpice oder langsam verglühendem Silberschein bei Manons Tod.

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