Von Walhalla nach Zypern hat es Andreas Schager verschlagen, der zwischen etlichen Wagner-Engaments diese Saison nun an der Wiener Staatsoper als Verdis Otello debütierte. Für Fans von exzessiver Piani-Kultur bzw. einer psychologisch angelegten Rolleninterpretation bot Schager an diesem Abend vermutlich wenig Grund zur Freude, aber alle anderen kamen voll auf ihre Kosten.

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Andreas Schager (Otello)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Bereits im „Esultate” setzte er seinen Tenor so kraftstrotzend ein, dass man in keinster Weise daran zweifelte, hier einen erfolgreichen Feldherren vor sich zu haben. Und in diesem Stil ging es weiter – ebenso mühelos erklommene wie strahlende Höhen, aufwallende Ausbrüche von Eifersucht und schier nicht enden wollende Kraft und Energie in der Stimme gab es zu erleben. Aber auch um zarte Phrasen bemühte er sich durchaus und so war das Duett des ersten Akts ein Moment schimmernder Romantik. Darstellerisch warf sich Schager kompromisslos in den Abend, denn dieser Otello brauchte gar nicht viel an Provokation, um zur eifersüchtigen Furie zu werden. 

Das kalkulierende Gegengewicht und die feine Klinge des Abends bot Igor Golovatenko der den Jago nicht als vordergründig bösartigen Rüpel gab, sondern als subtil sadistisches Mastermind, das genau weiß, wie die Fäden zu ziehen sind – und auch seine vokale Gestaltung folgte dieser Interpretation. Mit höchster Eleganz ließ er seinen Bariton durch die Partie strömen, ohne je zu forcieren oder auf billige Effekthascherei zu setzen; trotzdem – oder gerade deswegen! – wirkte der Charakter wahnsinnig bedrohlich und nuanciert, denn als Golovatenko im Finale des zweiten Akts dann auch stimmlich voll aufdrehte, um Rache zu schwören, beherrschte dieser Jago in jeder Hinsicht das Geschehen.

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Andreas Schager (Otello) und Igor Golovatenko (Jago)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Das Opfer der Intrige war mit Nicole Car als Desdemona hervorragend besetzt: Ihre Stimme verfügt ebenso über schöne Piani wie auch üppig aufblühende Phrasen voll Emotion. Und auch die Wandlung der Figur von der träumerisch Verliebten im ersten Akt bis hin zur schicksalsergeben Frau verdeutlichte sie nicht nur schauspielerisch, sondern auch stimmlich glaubhaft. Lediglich ein dann und wann leicht flackerndes Vibrato, das sich im vierten Akt in der Höhe einschlich, störte den ebenmäßigen Gesamteindruck, wobei diese Momente etwa durch das innig vorgebrachte „Ave Maria” schnell wieder in Vergessenheit gerieten. 

Nicht ganz mithalten mit dem hohen Niveau konnte Alessandro Liberatore, der dem Cassio kein wirkliches Profil verlieh. Schade, denn eigentlich böte diese Rolle ja die ideale Möglichkeit, tenoral groß aufzutrumpfen und stimmlichen Glanz zu versprühen. Das gelang dem Italiener an diesem Abend aber höchstens phasenweise, denn auch wenn die sauber geführte Stimme alle Töne traf, fehlte es doch an Farben und Ausdruck. 

In den kleinen Rollen waren einige  Ensemblemitglieder des Hauses zu hören und sie alle erledigten ihre Aufgaben mehr als nur ordentlich: Margaret Plummer gab eine ebenmäßig singende und aufopferungsvoll agierende Emilia, Stephano Park lieh dem Lodovico seinen sonoren Bass und Carlos Osuna gestaltete den Roderigo strahlkräftig. Einen starken Abend hatte auch der Chor, wobei vor allem in der ersten Szene die dynamische Gestaltung und die Homogenität des Klanges beeindruckten;  ebenso seine Stärken ausspielen konnte der Kinderchor, der Desdemona lieblich Blumen darbrachte.

Andreas Schager (Otello) und Nicole Car (Desdemona) © Wiener Staatsoper | Michael Pöhn
Andreas Schager (Otello) und Nicole Car (Desdemona)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Das Orchester der Wiener Staatsoper glänzte unter der Leitung von Giampaolo Bisanti mit düsteren Klangfarben und brodelnder Spannung; insbesondere Jagos intriganten Nihilismus gestalteten sie packend und auch die aufwallenden Momente des einleitenden Sturms gelangen vorzüglich. Aber auch die süßlichen, innigen Momente vermochten zu überzeugen, denn einerseits sorgte bereits die Einleitung des Duetts für Gänsehaut und andererseits wurde dann im vierten Akt durch das Wiederaufgreifen von Motiven daraus die Tragik der Handlung orchestral ideal verstärkt.   

Die Inszenierung von Adrian Noble ist vor allem eines: unauffällig. In einem düsteren Bühnenbild entfaltet sich die Handlung ohne gröbere Störfaktoren oder Ungereimtheiten – obgleich man sich im vierten Akt schon die Frage stellen könnte, warum im Schlafzimmer von Otello und Desdemona eigentlich ein Haufen Kerzen brennt. Zu sehen gibt es den Abend über ästhetische Bilder und hübsche Kostüme (mal abgesehen von Otellos Nachthemden…), aber wenig Personenregie oder gestalterische Details der Entwicklung der Charaktere. Und so hinterließ der Abend szenisch einen weitaus weniger starken Eindruck als musikalisch.

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