Es ist der Lauf des Lebens: Ein Tag beginnt, ein Tag endet. Egal, was dort draußen in der großen weiten Welt geschieht. Eines ist sicher: Am nächsten Morgen wird die Sonne wieder aufgehen, der tägliche Zyklus beginnt erneut. Zum ersten Mal ist Vladimir Jurowski, als Chefdirigent des Rundfunk-Sinfonieorchesters in Berlin längst kein Unbekannter, mit dem Orchester der Bayerischen Staatsoper in der Hauptstadt beim Musikfest zu Gast. Dabei stellt der Dirigent in seiner Programmauswahl diesen Lauf der Dinge in den Mittelpunkt: Schneegegrabener Weltensturz der ukrainischen Komponistin Victoria Vita Poleva, Alban Bergs „Andenken eines Engels“ (mit Vilde Frang) voller wehmütigen Abschieds und dem Blick auf das Jenseits, und Richard Strauss Alpensinfonie. Ein Tag in den Bergen.
„White Interment”, zu deutsch „Weißes Begräbnis“, diesen Beinamen gab die ukrainische Komponistin Victoria Vita Polevá ihrer Dritten Symphonie, die den Abend eröffnet. Der Name ist dabei Programm. Schon bei den ersten Klängen scheint sich eine eisige Decke in der Philharmonie auszubreiten. Ineinanderflutende Klänge, An- und Abschwellen des Orchesters. Klangdicht mit langgezogenen Bögen schafft das Bayerische Staatsorchester eine unbehagliche Oberfläche unter der immer etwas zu schwelen scheint. Doch durchbrechen wird die grauenvolle Welt unter der weißen Schneefläche lange nicht. Polevás Symphonie ist keine, die auf Effekt hascht, provoziert, sondern sorgsam aufbaut und so zum Finale führt, das gar nicht laut sein muss, um zu erschüttern.

In sich gekehrt ist auch Alban Bergs Konzert für Violine und Orchester, „Dem Andenken eines Engels“ gewidmet. Vilde Frang als Solistin gestaltet Bergs wohl bekanntestes Orchesterwerk mit eleganter Zerbrechlichkeit und lyrischer Brillanz. Dabei trifft die norwegische Geigerin auf einen fast ungewohnt warmen Orchesterklang, des von seinem Generalmusikdirektor geleiteten Staatsorchesters. Dieser einhüllende Klang fasziniert ebenso wie die innere Stärke und Entschlossenheit, mit der Frang das Violinkonzert interpretiert und so zahlreiche kleine, innige Momente schafft. Geheimnisvoll zieht sie sich gen Ende immer wieder in den Orchesterklang zurück, lässt es schimmern und scheint so dem Himmel immer näher zu kommen.
Erwartungsgemäß naturgewaltig kommt hingegen die Alpensinfonie von Richard Strauss daher. Auch wenn schon ihr Titel – für gemeine Berliner*innen fängt in München quasi das Hochgebirge an – wie Teil der DNA des Bayerischen Staatsorchesters klingt, feierte das Werk im Jahr 1915 tatsächlich in berlinerischen Gefilden in der damaligen Philharmonie in der Bernburger Straße in Kreuzberg unter Leitung des Komponisten mit der Dresdner Königlichen Kapelle Premiere.
Passend zu den vorangegangenen Werken des Abends entschlackt Vladimir Jurowski, trotz weiterhin weich-warmer Grundintonation, die tondichterischen Klangfluten. Transparenz ist hier die Maxime. Spannungsreich und detailverliebt dabei aber nie den roten Faden verlierend präsentieren sich Orchester und Dirigent. Hier sind die lauten niemals lärmenden Höhepunkte ebenso wichtig, wie die still-beglückenden Momente. Kleines Manko: Durch die große Direkt- und Deutlichkeit scheint ab und an die spontane Unmittelbarkeit der Naturerzählung etwas verloren zu gehen, bietet aber dem Gesamteindruck kaum Abbruch. Als Zugabe präsentiert das Orchester – wie sollte es anders sein bei der Bayerischen Staatsoper mit ihren Hausgöttern – noch ein bisschen Wagner. Das Vorspiel aus dem dritten Akt der Meistersinger von Nürnberg ist an diesem Abend der Kehraus.